Erlauben Landtagswahlentwicklungen Rückschlüsse auf die Bundestagswahl?

Politik

Vorab: Es dürfte aufgefallen sein, dass ich in letzter Zeit auf die Rundumbetrachtungen vor Landtagswahlen verzichtet habe. Das liegt zum einen daran, dass Zeit begrenzt ist, zum anderen aber auch an einer intensiveren Auseinandersetzung mit Umfragen vor der Wahl bei zum Spiegel Online. Nichtsdestoweniger werde ich noch einige Betrachtungen zur Lage im Bundesrat nachschieben.

Trailer und Werbung vorbei, jeder hat ein Eis, es kann losgehen.

Landtagswahlen in Jahren, in denen auch der Bundestag neu gewählt wird, erhalten besondere Bedeutung. „Stimmungstest“ für die Lage, die Kampagnen, die Kandidaten. Jörg Schönenborn läuft eifrig vor dem Touchscreen auf und ab, die Balkendiagramme unter den Händen des Politik-Houdini erläutern Stimmenverluste oder wichtige Themen. Landespolitik? Bundespolitik? Kommt drauf an.

1998 sicherte sich Gerhard Schröder mit einer enormen Bestätigung in Niedersachsen die Kandidatur für die Bundestagswahl und letztlich den Regierungswechsel. Sieben Jahre später verlor Peer Steinbrück das Ministerpräsidentenamt in Niedersachsen, neunzig Minuten nach dem Schließen der Wahllokale verkündete der Kanzler Neuwahlen. 2009 legten alle kleinen Parteien im Durchschnitt zu – und bestätigten diese Entwicklung im September.

Aber ist das eine Entwicklung? Lassen sich wirklich Rückschlüsse von den Ergebnissen einer Partei bei den Landtagswahlen auf ihr Abschneiden bundesweit ziehen? Schließlich, sagt die Erinnerung, gelang der SPD doch 2002 und 2005 Serien an landesweiten Niederlagen enorme Aufholjagden.

Um das zu untersuchen, habe ich folgende Daten miteinander verglichen:

  • Der Mittelwert aller prozentualen Zugewinne bzw. Verluste bei Landtagswahlen, die im Jahr der Bundestagswahl statt fanden, mit Ausnahme der Wahlen am gleichen Tag. Beispiel: 1998 wurde in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern gewählt, sowie am Tag der Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Letztere betrachte ich nicht, weil ich nach einer in die Zukunft gerichteten erklärenden Variable frage, und hierfür sind eben nur vorherige Wahlen interessant. Bei diesen drei Wahlen hatten die Grünen jeweils leichte Verluste – im arithmetischen Durchschnitt 0,9 Prozentpunkte. Diesen Wert nutze ich als „X“ – die erklärende Variable.
  • Das zu untersuchende Ergebnis ist die Entwicklung der jeweiligen Partei bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr. Die Grünen etwa verloren auch 1998 0,6 Prozentpunkte im Vergleich zu 1994.

Ich benutze die Entwicklungen und nicht die absoluten Werte. In den jeweiligen Ländern gibt es enorme konstante Eigenheiten – die Schwäche der SPD in allen Neuen Bundesländern außer Brandenburg, die Stärke der Union in Bayern, die PDS/Linke im kompletten Spektrum von „nicht angetreten“ zu „beinahe stärkster Kraft“. Die Zuwächse und Verluste hingegen erlauben, so die Annahme, tatsächlich die Entwicklungen abzusehen.

Und noch eins: Ausgenommen bei dieser Betrachtung sind die PDS-Ergebnisse aller Wahlen, wo die Partei zum ersten Mal antrat. Hier wäre jedes Ergebnis zwangsläufig ein Zugewinn gewesen, der aber ohne Aussagekraft ist, da die Partei in Bundestagswahlen seit 1990 überall wählbar war. Analog zähle ich PDS/WASG aufgrund der sich erst im Laufe des Jahres entwickelnden Listenverbindung für 2002 nicht. Ebenfalls nicht in der Erfassung ist die AfD, weil sie bisher ausschließlich Landtagswahlpremieren hatte.

Das Ergebnis

Nachfolgend das Streudiagramm mit den entsprechenden Daten. Auf der X-Achse sind die jeweiligen Landtagswahldurchschnitte (also zum Beispiel -0,9 für die Grünen 1998) abzulesen, der Y-Wert des Punktes zeigt die Entwicklung bei der Bundestagswahl an (also hier 0,6). Bei einer perfekten Korrelation (1) wären alle Werte auf einer kompletten Geraden von links unten durch den Nullpunkt nach rechts oben.

Rohdaten für diese Analyse auf einer Punktwolke. Lesebeispiel: 2009 (Legende: Kreuze) verlor die SPD (rot) bei Landtagswahlen im Schnitt 3,7 Prozentpunkte, bei der Bundestagswahl waren es 11,2.Das ist war nicht der Fall, aber dennoch ist gut zu erkennen, dass sich ein Großteil der Punkte eben von links unten nach oben rechts bewegt. In Zahlen:

  • Von insgesamt 29 untersuchten Werten widerlegen acht grundsätzlich die Hypothese: in fünf Fällen gewann eine Partei, die im Durchschnitt bei Landtagswahlen Verluste gemacht hatte, bei einer Bundestagswahl hinzu (Grüne 1994 und 2002, PDS 1998, FDP 2005, CDU/CSU 2013), in drei Fällen verlor eine Partei bundesweit trotz guter Signale aus den Ländern (PDS 2002, CDU/CSU 2005, Grüne 2013).
  • In zwanzig Fällen hingegen bestätigt sich – ohne Betrachtung des Ausmaßen von Gewinn und Verlust – die grundsätzliche Hypothese hingegen.
  • Und ein Wert liegt quasi genau auf dem Nullpunkt (FDP 1998).

Der Pearson-Korrelationswert liegt bei 0,43 bei einem p-Wert von 0,02. Die Korrelation ist also keineswegs perfekt, aber eben doch deutlich. Das trifft in der Summe ziemlich genau die Erwartungen. Entwicklungen bei Landtagswahlen spiegeln die bundesweite Stimmung gut wieder, wenn nicht starke landespolitische Themen oder besondere Ereignisse dagegen sprechen.

Wer Excel um weitere Daten bittet: Der Anstieg der Regression ist 0,56 bei einem Standardfehler von 3,9.

Das gleiche Diagramm, nun mit einer von Excel berechneten linearen Trendline. In der Tat geht diese nicht ganz durch den Nullpunkt, weil Parteien im Mittel bundesweit etwas schlechtere Tendenzen haben als bei Landtagswahlen. Das liegt unter anderem an den notwendigerweise nicht betrachteten erstmals angetretenen Parteien.

Kristallkugel

Was genau würden diese lineare Regression ergeben, wenn wir Excel freundlich um eine Zukunftsvorhersage bitten? Diese Ergebnisse (natürlich wie immer auf meinem OneDrive abzurufen):

Partei „Prognose“ für die Ergebnisentwicklung „Prognose“ für das Ergebnis
CDU/CSU +0,99 ± 3,8 38,7-46,3%
SPD -1,75 ± 3,8 20,2-27,8%
FDP +0,56 ± 3,8 1,6-9,2%
Grüne -1,13 ± 3,8 3,6-11,2%
Linke -0,39 ± 3,8 4,4-12%

Die „Augen zu und durch“-Vorhersage auf Basis der Regression mit den theoretisch erwarteten Ergebnissen samt Fehlerbalken. Die Höhe der Fehlerbalken verdeutlicht die begrenzte absolute Aussagekraft der Landtagswahlergebnisse.

Diese Ergebnisse mögen zunächst überraschen, allerdings zeigt ein kurzer Blick auf die Punktwolke eben, dass die gedachte Gerade relativ flach ansteigt, weil Bundestagswahlen mit wenigen Ausnahmen (FDP 2013, SPD 2009) selten völlige Kantersiege bzw. -niederlagen werden. Trägt man diese Daten schließlich auf das genannte Diagramm auf, gibt es eine Discount-Nate-Silver-Prognose für September 2017. Für alle Parteien sind demnach sowohl Verluste als auch Gewinne im September noch völlig im Bereich des Plausiblen. Für die SPD nur eben weniger als für andere.

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