Zwei Dominanzen in deutschen Landesparlamenten existieren mit naturgesetzlicher Beständigkeit. Zum Einen die CSU im Münchner Landtag – seit 1954 immer die meisten Stimmen, den Ministerpräsidenten und auch bei der letzten Landtagswahl noch im Augen-zu-und-durch-Modus durchgekommen.
Noch ganz acht Jahre länger währt die Serie der SPD in Bremen. Buchstäblich seit dem Bestehen des Landesparlamentes, seit der ersten Wahl vor – bitte ein Taschenrechnergeräusch vorstellen – 73 Jahren war immer die SPD ganz vorne, stellte alle sieben Bürgermeister dieser Zeit. Jeder noch so vergilbte Artikel erwähnt die SPD-Dauerpräsenz, in jeder noch so prähistorischen Kampagne wurde sie besungen. Einigermaßen knapp wurde es das letzte Mal zu Zeiten Helmut Kohls: 1995 kam die CDU bis auf 0,8 Prozentpunkte an die Sozialdemokraten heran.
Umfragen: Kopf-an-Kopf-Rennen
Zumindest der Status der stärksten Fraktion könnte sich dieses Jahr ändern. In den (wenigen) Umfragen sind SPD und CDU gleichauf, mit CDU-Vorteil im Bereich der Fehlertoleranz. In der Vergangenheit war die demoskopische Aufnahme dabei zumeist eher optimistisch, bei den anderen Parteien lässt sich auch mit viel gutem Willen keine übergreifende Aussage treffen.
In jedem Fall wird die bisherige rot-grüne Regierung ihre Mehrheit verlieren. Als Alternative böte sich entweder eine rot-rot-grüne Regierung an – die erste in einem westdeutschen Bundesland, oder eine große Koalition.
Politisch wäre diese wohl nicht besonders klug:
- Erhält die SPD weniger Stimmen – vielleicht lediglich ein paar Hundert -, würde sie auf ein Amt verzichten, Sichtbarkeit und Macht einbüßen und mit hoher Wahrscheinlichkeit in fünf Jahren als Verlierer dastehen, zudem wären die Grünen in einer solchen Lage in einer guten Lage als stärkste Opposition.
- Analoge Überlegungen gelten für die CDU – eine mögliche Juniorpartnerschaft ist für den Unternehmer Carsten Meyer-Heder zwar die Möglichkeit, stellvertretender Regierungschef zu werden, aber minimiert im Verhältnis zu einer Rolle als möglicher Oppositionsführer langfristig die Perspektiven.
Die Linken um Spitzenkandidaten Kristina Vogt sind eine etablierte Kraft, weswegen die üblichen Jehova!-Rufe bei jeder Anbandelung oder Koalition eher leise ausfallen sollten.
Im Bundesrat: Das Ende der Mehrheit für CDU-SPD-Grüne?
Rot-rot-grün im kleinsten Bundesland wäre also keine spektakuläre Entwicklung – es sei denn, wir schauen auf den Bundesrat.
Hier hat eine Kenia-Koaltion aus CDU. SPD und Grünen derzeit eine Mehrheit – mit den Stimmen der Großen Koalitionen1 (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Niedersachsen, Saarland), der schwarz-grünen Bündnisse in Hessen und Baden-Württemberg sowie der rot-grünen Regierungen in Hamburg und eben Bremen sowie der bestehenden Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt.
Die letzte Bundesratsmehrheit für klassische Zwei-Parteien-Koalitionen (CDU/CSU zusammengezählt) in der Länderkammer verfloss 2010 nach der Abwahl Jürgen Rüttgers‘ in Nordrhein-Westfalen.
Dass nun auch keine Mehrheit mehr für Drei-Partien-Bündnisse möglich wäre, illustriert einmal mehr die zunehmende Verkleinerung der Parlamentstortenstücke. In einer Zeit schwieriger Legislatur wäre das Grund zur Besorgnis, allgemein hat der Bundesrat seine Rolle als Oppositionsprellbock längst eingebüßt.
Kommt es in Bremen zu Rot-rot-grün, gäbe es Mehrheiten im Bundesrat am „einfachsten“:
- über eine Kenia-Koalition mit den oben genannten Ländern eben ohne Bremen, dafür mit Bayern und somit den Freien Wählern
- über Union-SPD-Grüne-FDP- oder Union-SPD-Grüne-Linke-Wahlbündnisse
Und so kann eine vermeintlich unspektakuläre Wahl womöglich gleich zwei politische Gewohnheitsregeln über den Haufen werfen.
Offenlegung: Ich war von ca. 2002 bis 2009 Mitglied der FDP. Ich bin seit 2009 überwiegend stilles Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.