Jetzt ist er wieder in aller Munde und Content-Management-Systeme, der bereits 2005 gebetsgemühlte Satz, dass große Koalitionen schlecht seien, weil sie mangels innerparlamentarischer Opposition den politischen Rand stärken. Wieso hat 2005 eigentlich dabei schon jemand von Koalitionen gesprochen? Es gab bis dato exakt eine auf Bundsebene, und man muss nichtmal den Sitzschein in Methoden empirischer Sozialforschung zu haben, um zu ahnen, dass das eine vergleichsweise dünne Datenbasis ist.
Nun könnte es 2009 berechtigt sein, immerhin haben wir nun schon eine zweite GroKo, und damit sind die politischen Ränder… nun ja… äh.. weitgehend bedeutungslos. In keiner bundesweiten Umfrage der letzten Zeit sind die rechtsextremen Parteien aufgetaucht, und die gegenwärtig 4,5% für die NPD in Sachsen entsprechen der Hälfte dessen, was die Partei bei den letzten Landtagswahlen holte – damals unter rot-grüner Bundes- und CDU-Landesregierung. Selbst wer die Linkspartei als radikal betrachtet, kommt nicht um die Feststellung, dass ihr Aufstieg 2005 erfolgt und weniger mit einer künftigen GroKo und mehr mit gesellschaftlicher Frustration verknüpft war.
Also: Große Koaltionen sind definitiv nicht das Triebmittel für politische Radikale. Das hat eine Reihe von Gründen.
Abnehmende Bedeutung der Volksparteien insgesamt
1966 kamen SPD und CDU/CSU zusammen auf 86,9% der Stimmen und 90,1% der Bundestagssitze. 2005 heißen die entsprechenden Zahlen 69,4% und 72,9%. Statt einer Partei in Oppositionsrolle sind es drei, die in der Summe 26,6% der Wählerstimmen repräsentieren. Das Hauptargument, eine GroKo wäre ohne Opposition im Parlament und befördere damit eine außerparlamentarische, dürfte damit ziemlich hinfällig sein. Natürlich wird deutlich, dass Gesetzesverfahren insgesamt weniger spitz und dramatisch zulaufen, dass die Vertrauensfrage in der Schublade bleibt – aber niemand mit kognitiven Fähigkeiten kann ernsthaft behaupten, es fehle an Opposition. (In diesem Zusammenhang erwähnenswert wäre, dass sowohl Kohl als auch Schröder lange gegen Bundesratsmehrheiten regierten und der Vermittlungsausschuss damit zur Meta-GroKo wurde, ohne dass es auf einmal überall randete.)
Nicht Mehrverhältnisse stärken Extremisten, sondern die Verhältnisse und die Politik
Die Vorstellung, dass an sich mit dem Staat zufriedene Bürger auf einmal austicken, sobald die regierenden Parteien die komfortabelsten Mehrheitsverhältnisse haben, scheint nicht nur absurd – sie ist es auch. Die außerparlamentarische Opposition, die Studenten (et al.) gingen doch nicht auf die Straße, weil sie sich an den Mehrheitsverhältnissen an und für sich störten! Notstandsgesetze (die von Alliierten gefordert waren)? Ein NSDAP-Mitglied als Kanzler, während die Öffentlichkeit zunehmend über mangelnde Aufarbeitung des Dritten Reichs diskutierte? Spiegel-Affäre? Vietnamkrieg? Weltweite Studentenbewegungen, Benno Ohnesorg? Die sich hier herstellenden Bezüge zur Großen Koalition betreffen in erster Linie ihr Regierungshandeln, nicht ihre Mehrheit.
Richtig, 1969, nach der ersten Großen Koalition, hatte die NPD tatsächlich mit 4,3% ihr bestes Wahlergebnis jemals und überhaupt. Aber: Wer diese Entwicklung einzig und allein auf das Große-Koalition-Sein der Großen Koalition zurückführt, vernachlässigt einiges. Zum Beispiel die Gründungsgeschichte der Partei, die sich auf den nationalliberalen Flügel der FDP ebenso stützen konnte wie auf die Anfang der 60er Jahre faktisch aufgelöste Deutsche Partei. Man tut auch gut daran, sich die ökonomische Situation der 60er-Jahre in Erinnerung zu führen, die erstmals nicht mehr munter vor sich wirtschaftswunderte.
Dass sich als ‚links‘ einstufende Menschen in einer großen Koalition damaliger Verhältnisse keine Vertretung im Parlament sahen, ergibt Sinn, schließlich war die vormals dafür zuständige SPD selbst in der Regierung und beschloss die Notstandsgesetze mit. Die – auch wegen der erstarkenden NPD angebrachte – Diskussion um ein Mehrheitswahlrecht tat ihr Übriges, um den Eindruck einer mangelnden Vertretung in Bonn zu bestärken.
Die Koalition 2005-2009 hatte andere Bedingungen. Zwar hat auch sie, insbesondere mit der Mehrwertsteuererhöhung, Gesetze erlassen, die ohne eine wirklich komfortable Mehrheit nicht möglich gewesen wären, aber der Eindruck mangelnder parlamentarischer Vertretung einer bestimmten Richtung wird schwerlich entstanden sein.
Analyse in den Ländern
Um sicher zu gehen, habe ich einmal alle Wahlerfolge von extremistischen Parteien aufgezählt, und welche Regierung im jeweiligen Bundesland bis dato an der Macht war:
Jahr | Bundesland | Partei | Ergebnis | Vorherige Koalition | Regierung auf Bundesebene |
1966 | Bayern | NPD | 7,4% | CSU-Alleinregierung | Große Koalition |
1966 | Hessen | NPD | 7,9% | SPD-Alleinregierung | Große Koalition |
1967 | Bremen | NPD | 8,8% | SPD-Alleinregierung | Große Koalition |
1967 | Niedersachsen | NPD | 7,0% | Große Koalition | Große Koalition |
1967 | Rheinland-Pfalz | NPD | 6,9% | CDU-FDP-Koalition | Große Koalition |
1967 | Schleswig-Holstein | NPD | 5,8% | CDU-Alleinregierung | Große Koalition |
1968 | Baden-Württemberg | NPD | 9,8% | CDU-Alleinregierung | Große Koalition |
1987 | Bremen | DVU | 3,4% | SPD-Alleinregierung | CDU-FDP-Koalition |
1989 | Berlin | REP | 7,5% | CDU-FDP-Koalition | CDU-FDP-Koalition |
1991 | Bremen | DVU | 6,2% | SPD-Alleinregierung | CDU-FDP-Koalition |
1992 | Schleswig-Holstein | DVU | 6,3% | SPD-Alleinregierung | CDU-FDP-Koalition |
1992 | Baden-Württemberg | REP | 10,9% | CDU-Alleinregierung | CDU-FDP-Koalition |
1996 | Baden-Württemberg | REP | 9,1% | Große Koalition | CDU-FDP-Koalition |
1998 | Sachsen-Anhalt | DVU | 12,9% | SPD-Grüne Minderheitsregierung | CDU-FDP-Koalition |
1999 | Brandenburg | DVU | 5,3% | SPD-Alleinregierung | SPD-Grüne-Koalition |
1999 | Bremen | DVU | 3,0% | Große Koalition | SPD-Grüne-Koalition |
2003 | Bremen | DVU | 2,3% | Große Koalition | SPD-Grüne-Koalition |
2004 | Sachsen | NPD | 9,2% | CDU-Alleinregierung | SPD-Grüne-Koalition |
2006 | Mecklenburg-Vorpommern | NPD | 7,3% | SPD-Linke-Koalition | Große Koalition |
2007 | Bremen | DVU | 2,7% | Große Koalition | Große Koalition |
Gezählt wurden dabei alle Wahlen, bei denen es einer rechtsextremen Partei gelang, in ein Landesparlament einzuziehen. Bremen taucht deswegen so oft (und auch mit so niedrigen Ergebnissen auf), weil gemäß dem Wahlrecht fünf Prozent in einem der beiden Stadtgebiete (also auch Bremerhaven) reichen, um bei niedrigem Ergebnis in die Stadtvertretung einzuziehen.
Die gehäuften Erfolge der NPD gegen Ende der 60er sind unübersehbar – in sieben von zehn westdeutschen Landesparlamenten zogen die Rechtsextremen ein. Allerdings: Zwischen 2005 und 2009 wiederholte sich das in keiner Weise. Zwei Erfolge verbuchten NPD und DVU, das Bremer Wahlergebnis war dabei das zweitschlechteste dieser Auflistung.
Bei den Koalitionen auf Landesebene ist zu keiner Zeit überhaupt kein Muster erkennbar, wonach eine Große Koalition Randparteien fördere. Dafür zeigt ein Blick auf die Analyse deutlich: Fast alle Erfolge nach der Wende finden in Gebieten statt, die wirtschaftlich, vorsichtig gesagt, schwierige Zeiten durchmachen. Und in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit steigt nun einmal die Politikverdrossenheit – Protestwähler (insbesondere die DVU 1998) oder Extremismus sind mögliche Folgen.
Fazit: Stärken große Koalitionen die Ränder?
Nicht Fraktionsstärken bringen die Bürger auf die Barrikaden, sondern ungewünschte Politik und das Gefühl mangelnder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe. Einige Faktoren stärken den Zulauf extremer Parteien – aber große Koalitionen tendieren eher zu Ihnen:
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schwache oder fehlende parlamentarische Opposition (in Zeiten von Fünf-Parteien-Parlamenten kaum noch relevant)
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schlechte wirtschaftliche Entwicklung, hohe Arbeitslosigkeit, empfundene Perspektivlosigkeit (besonders regional deutlich)
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als unsozial empfundene Gesetzgebung, soziale Unruhen (das hat 2005 zur Wiedergeburt der Linken geführt, die einige als extrem einstufen)
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als gesellschaftsfeindlich empfundene Gesetzgebung (benannte Notstandsgesetze; die Mehrwertsteuererhöhung war dagegen ein Sturm im Wasserglas)
Mithin lässt sich auch überlegen, inwieweit Menschen ein bestimmtes Interesse haben, vor einer Großen Koalition an und für sich zu warnen. Zum Beispiel, wenn es drei FDP-Ehrenvorsitzende sind.