Die deutschen Swing States

Politik

In den USA und Großbritannien gilt das so genannte Mehrheitswahlrecht: Wer in einem Wahlkreis oder Staat die Mehrheit einsackt, gewinnt diesen komplett für sich. Abba hat darüber sogar einen Song geschrieben.

Dadurch lohnt es sich, die Kampagnenaktivitäten auf genau die Staaten zu konzentrieren, in denen man die Mehrheit erringen kann, sie aber nicht zwangsläufig sicher hat – weswegen für Demokraten in den USA etwa Kalifornien und New York (sichere Bänke) und Texas (gewinnt eh der Republikaner) kaum interessant sind. Swing States wie Ohio oder Florida stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit.

So ist es in Deutschland einerseits nicht. Weil die Zweitstimmen im Verhältniswahlrecht vergeben werden, gilt: Mehr Stimmen – mehr Sitze. (Über die Rolle der Erststimmen an anderer Stelle.)

Doch das stilistisch nötige andererseits kommt erst jetzt: Denn wenngleich Zweitstimmen proportional in Sitze umgewandelt werden, lohnt eine Untersuchung, wo die Wähler denn besonders häufig ihre Stimme wechseln. Sollte sich etwa herausstellen, dass in Mecklenburg-Vorpommern eh nur drei Leute das Kreuz wechseln, wird eine Kampagnenführung dort weitaus weniger interessant. Und würden stattdessen in Schleswig-Holstein die Wähler in Scharen wechseln, so lohnt es sich, hier besonders intensiv (und effektiv) zu werben.

Wie den Swing-Faktor messen?

Die Vorgehensweise bei dieser Frage indes ist keineswegs einfach: Für die USA konstatiert man nach kurzem Blick in die Wikipedia: Alles klar, Mehrheit geht immer an jemanden anders, also Swing-State-Stempel holen. Eine solche Vorgehensweise ergäbe für Deutschland keinen Sinn. Stattdessen nutze ich einen Wert, der aus den Statistik-Stunden der Schule bekannt sein dürfte: Die Standardabweichung,

Der Rest ist eine vergleichsweise einfache Tabelle: Bundesland, Partei und Jahr eintragen, Standardabweichung berechnen, Mittelwert bilden. Ich habe mich hier auf die offiziellen Ergebnisse vom Bundeswahlleiter gestützt. Dabei kommt folgendes Ergebnis zustande (die entscheidende Zahl steht immer rechts unten – und es tut mir leid, aber ich konnte OpenOffice nicht austreiben, die Parteien alphabetisch zu pivotieren):



Jahr



Bundesland Partei 1998 2002 2005 Standardabweichung Mittelwert
Baden-Württemberg CDU/CSU 37,8% 42,8% 39,2% 2,58%

FDP 8,8% 7,8% 11,9% 2,14%

Grüne 9,2% 11,4% 10,7% 1,12%

PDS/Linke 1,0% 0,9% 3,8% 1,65%

SPD 35,6% 33,5% 30,1% 2,78% 2,1%
Bayern CDU/CSU 47,7% 58,6% 49,2% 5,91%

FDP 5,1% 4,5% 9,5% 2,73%

Grüne 5,9% 7,6% 7,9% 1,08%

PDS/Linke 0,7% 0,7% 3,4% 1,56%

SPD 34,4% 26,1% 25,5% 4,97% 3,2%
Berlin CDU/CSU 23,7% 25,9% 22,0% 1,96%

FDP 4,9% 6,6% 8,2% 1,65%

Grüne 11,3% 14,6% 13,7% 1,71%

PDS/Linke 13,4% 11,4% 16,4% 2,52%

SPD 37,8% 36,6% 34,4% 1,72% 1,9%
Brandenburg CDU/CSU 20,8% 22,3% 20,6% 0,93%

FDP 2,8% 5,8% 6,9% 2,12%

Grüne 3,6% 4,5% 5,1% 0,75%

PDS/Linke 20,3% 17,2% 26,6% 4,79%

SPD 43,5% 46,4% 35,8% 5,48% 2,8%
Bremen CDU/CSU 25,4% 24,6% 22,8% 1,33%

FDP 5,9% 6,7% 8,1% 1,11%

Grüne 11,3% 15,0% 14,3% 1,97%

PDS/Linke 2,4% 2,2% 8,4% 3,52%

SPD 50,2% 48,6% 42,9% 3,84% 2,4%
Hamburg CDU/CSU 30,0% 28,1% 28,9% 0,95%

FDP 6,5% 6,8% 9,0% 1,37%

Grüne 10,8% 16,2% 14,9% 2,82%

PDS/Linke 2,3% 2,1% 6,3% 2,37%

SPD 45,7% 42,0% 38,7% 3,50% 2,2%
Hessen CDU/CSU 34,7% 37,1% 33,7% 1,75%

FDP 7,9% 8,2% 11,7% 2,11%

Grüne 8,2% 10,7% 10,1% 1,31%

PDS/Linke 1,5% 1,3% 5,3% 2,25%

SPD 41,6% 39,7% 35,6% 3,07% 2,1%
Mecklenburg-Vorpommern CDU/CSU 29,3% 30,3% 29,6% 0,51%

FDP 2,2% 5,4% 6,3% 2,15%

Grüne 2,9% 3,5% 4,0% 0,55%

PDS/Linke 23,6% 16,3% 23,7% 4,24%

SPD 35,3% 41,7% 31,7% 5,06% 2,5%
Niedersachsen CDU/CSU 34,1% 34,5% 33,6% 0,45%

FDP 6,4% 7,1% 8,9% 1,29%

Grüne 5,9% 7,3% 7,4% 0,84%

PDS/Linke 1,0% 1,0% 4,3% 1,91%

SPD 49,4% 47,8% 43,2% 3,22% 1,5%
Nordrhein-Westfalen CDU/CSU 33,8% 35,1% 34,4% 0,65%

FDP 7,3% 9,3% 10,0% 1,40%

Grüne 6,9% 8,9% 7,6% 1,01%

PDS/Linke 1,2% 1,2% 5,2% 2,31%

SPD 46,9% 43,0% 40,0% 3,46% 1,8%
Rheinland-Pfalz CDU/CSU 39,1% 40,2% 36,9% 1,68%

FDP 7,1% 9,3% 11,7% 2,30%

Grüne 6,1% 7,9% 7,3% 0,92%

PDS/Linke 1,0% 1,0% 5,6% 2,66%

SPD 41,3% 38,2% 34,6% 3,35% 2,2%
Saarland CDU/CSU 31,8% 35,0% 30,2% 2,44%

FDP 4,7% 6,4% 7,4% 1,37%

Grüne 5,5% 7,6% 5,9% 1,12%

PDS/Linke 1,0% 1,4% 18,5% 9,99%

SPD 52,4% 46,0% 33,3% 9,72% 4,9%
Sachsen CDU/CSU 32,7% 33,6% 30,0% 1,87%

FDP 3,6% 7,3% 10,2% 3,31%

Grüne 4,4% 4,6% 4,8% 0,20%

PDS/Linke 20,0% 16,2% 22,8% 3,31%

SPD 29,1% 33,3% 24,5% 4,40% 2,6%
Sachsen-Anhalt CDU/CSU 27,2% 29,0% 24,7% 2,16%

FDP 4,1% 7,6% 8,1% 2,18%

Grüne 3,3% 3,4% 4,1% 0,44%

PDS/Linke 20,7% 14,4% 26,6% 6,10%

SPD 38,1% 43,2% 32,7% 5,25% 3,2%
Schleswig-Holstein CDU/CSU 35,7% 36,0% 36,4% 0,35%

FDP 6,2% 8,0% 10,1% 1,95%

Grüne 6,5% 9,4% 8,4% 1,47%

PDS/Linke 5,1% 1,3% 4,6% 2,06%

SPD 45,4% 42,9% 38,2% 3,66% 1,9%
Thüringen CDU/CSU 28,9% 29,4% 25,7% 2,01%

FDP 3,4% 5,9% 7,9% 2,25%

Grüne 3,9% 4,3% 4,8% 0,45%

PDS/Linke 21,2% 17,0% 26,1% 4,55%

SPD 34,5% 39,9% 29,8% 5,05% 2,9%
Deutschland gesamt CDU/CSU 35,1% 38,5% 35,2% 1,93%

FDP 6,1% 7,4% 9,8% 1,88%

Grüne 6,7% 8,6% 8,1% 0,98%

PDS/Linke 5,1% 4,0% 8,7% 2,46%

SPD 40,9% 38,5% 34,2% 3,39% 2,1%

Das Ergebnis ist wenig überraschend:

  • Als besonders wechselfreudig stellten sich das Saarland und Bayern dar. In beiden Fällen lässt sich der Grund schnell finden: 1998 trat der im Südwestzipfel sehr beliebte Oskar Lafontaine als zweiter Mann neben Schröder an, 2002 gar nicht – und 2005 kandidierte er gar selbst gegen die SPD, deren Werte entsprechend absackten. In Bayern ist Edmund Stoiber für den massiven Ausschlag nach oben 2002 bekannt.
  • Insgesamt sind neuen Bundesländer (ohne Berlin) wechselfreudiger. Auch das überrascht kaum: Die im Osten besonders gut verankerte Linke (vormals PDS) war 1998 gut bei den Wahlen vertreten, 2002 jedoch Untergehen – und 2005 kehrte die Partei mit enormer Stärke zurück.
  • Besonders stabil ist dagegen Niedersachsen, bekanntermaßen Schröders politische Heimat.

Was heißt das für den Wahlkampf?

Deuten die Resultate darauf hin, dass es „Swing States“ in Deutschland gibt? Nur sehr begrenzt. Ein Heimbonus für Kandidaten ist eine wenig spektakuläre Enthüllung. Die höheren Schwankungen zwischen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern deuten nur dann auf eine besondere Wählerschaftsvolatilität hin, wenn man den großen Wandel, den die PDS respektive Linke in dieser Zeit durchmachte, außer Acht lässt und mutig schlussfolgern will, dass Wahlen im Osten gewonnen werden.

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