Kurz vor dem Ende meines Studiengangs – LL.M. Wirtschaftsrecht – kommt noch einmal ein wirkliches Novum vor: Ein offizieller Widerspruch gegen eine Benotung. Da ich das so noch nicht kannte – und entsprechend auch Schwierigkeiten hatte, von vornherein die Sinnhaftigkeit einzuschätzen -, möchte ich meine Erfahrungen einmal weitergeben.
Der Noten und des Glückes Lauf
Grundsätzlich ist klar: Benotungen sind, egal wie sehr man sich um ein Erwartungsbild bemüht, in allem, was über reine Einzeilen-Falsch-Richtig-Mathematik hinausgeht, subjektiv. Jene an der Euro-FH fand ich mitunter etwas amüsant und nicht immer hilfreich, aber weitgehend nachvollziehbar. Denn gegen Ende meines insgesamt vierten Studiengangs hat sich natürlich ein Gefühl entwickelt, was die Güte der abgegebenen Leistung angeht. Bei Klausuren vielleicht noch etwas mehr, weil deutlicher ist, wo genau auf gelernte Inhalte zugegriffen werden konnte und wo mehr Jazz erforderlich war, aber auch bei Hausarbeiten ergibt sich eine Intuition, ob man das Thema prinzipiell richtig bearbeitet – und natürlich merkt man, wie intensiv etwa die Quellenarbeit ausfällt etc.
Das schützt nicht komplett vor Überraschungen – einige Arbeiten der Euro-FH (leider sämtlichst im Brückenkurs) sind besser ausgefallen als erwartet, andere nach meinem Dafürhalten etwas zu streng, aber eben innerhalb des Erwartungshorizontes.
Beispiel: Eine 1,2 kann bei guter Laune der Kontrolleurin möglich sein, eine 1,7 sicherlich denkbar, eine 2,0 bestimmt noch fair und eine 2,5 arg krittelig aber nunja. Genau in dem Bereich hatte sich bisher nahezu alles abgespielt. Ich fand es etwas merkwürdig, dass eine – mit anwaltlicher Nachhilfe! – überarbeitete Teilaufgabe bei einer erneuten Einreichung wirklich exakt die gleiche Teilnote hatte. Ich wunderte mich etwas, dass bei einer 2,5 wirklich nur ein Detail ernsthaft kritisiert wurde, weil irgendein Unterstrich der vielen Anforderungen ein My zu oberflächlich gestreift wurde, obwohl ich im Rahmen der Projektarbeit auch die Bonus-Aufgabe Präsentation mit abgegeben hatte. Und obwohl die tatsächliche vorgeschlagene Einreichung wirklich ein moderner und auch in ambitioniert geführten Teams üblicher Modus war.
Aber gut, kommt vor, schlechter Tag, der Freistoß ist Auslegungssache.
Anders sah es eben bei der letzten Arbeit zum Thema Unternehmensbewertung aus.
Aufgabenstellung und Benotung
Gemäß den Euro-FH-Bedingungen dürfen Prüfungsaufgaben nicht veröffentlicht werden, also werfe ich mal die verbale Nebelmaschine an. Es ging darum, wie sich eine der großen Krisen des letzten Vierteljahrhunderts auf die Praxis der Unternehmensbewertung ausgewirkt hatte.
Soweit, so einfach, so naheliegend? Krise analysieren, schauen, welche Firmen betroffen sind, Börsenkurse etc.
Nein, nicht so schnell! Denn in der Aufgabenstellung waren explizit vier Essays als Grundlage angegeben.
Vier Essays, die nicht über das Euro-FH-Bibliothekssystem verfügbar waren, also deutlich mehr Mühe erforderten – und den Gedankengang nahelegen: Na, wenn die solche Quellen hereinlegen, wird das schon wichtig sein. Richtig, so hat es auch bei anderen Hausarbeiten funktioniert.
In allen vier Aufsätzen wurden tatsächliche realweltliche Auswirkungen auf Branchen bestenfalls gestreift. Stattdessen immer im Vordergrund: Wie die tatsächlichen mathematischen Faktoren der Unternehmensbewertung wie der Beta-Faktor nun insgesamt entwickeln. Der Fokus war überhaupt nicht auf tatsächlich Echtweltbezügen, sondern nur über zwei Ecken über die Faktoren. Elfenbeinturm pur.
Gut, dann machen wir das eben so. Folglich bekommt meine Hausarbeit zwar natürlich prosaische Einleitungen und auch jede Menge tatsächliche Beispiele – inklusive Börsenkursen und Analystenmeinungen – zu den Auswirkungen auf konkrete Unternehmen, Branchen und entsprechende Berechnungen, aber der intellektuelle Schwerpunkt der Auseinandersetzung geht in die Tabellenkalkulation. Ich zeige auf, wie die verschiedenen Faktoren das Ergebnis einer Bewertung beeinflussen und so weiter.
Als ich den die Arbeit abschickte, hatte ich ein eher gutes Gefühl. Ich hatte relativ viel Aufwand auch die Recherche teils nicht mehr erreichbarer in den Quellen verlinkten Dokumenten gesteckt, „Bonus“-Informationen über konkrete Auswirkungen, insgesamt viel und relevante Literatur eingeführt, ein paar Diagramme gebaut und und. Sicherlich nicht mein allerbestes Werk, aber ein mehr als solides Produkt, das auch reichlich auf die Studienmaterialien und deren Prioritätensetzung Bezug nimmt. Eine Eins vorm Komma hätte ich für möglich gehalten, eine gute Zwei in jedem Fall für gerechtfertigt.
Es gab schließlich … eine 3.3, mit etwas Abstand die schlechteste aller Bewertungen, die ich für bestandene Arbeiten bis jetzt erhalten hatte. Die Begründungen waren mannigfaltig – Einrückungen in der Bibliographie, ein fehlendes Summary, angeblich eine zu geringe Verarbeitung der Abbildungen, aber natürlich insbesondere inhaltliche Notizen. So seien zwei der Verfahren zu kurz besprochen worden – eben genau die, welche die Studienhefte für irrelevant erklären. Konkrete Unternehmensbeispiele würden fehlen etc.
Nach einem kurzen Schock frug ich schließlich doch nach: Lässt sich hier etwas machen? Denn für mich lag hier nicht nur etwas Pech vor, sondern eine grundlegende Ungerechtigkeit und eben auch eine quantitativ erhebliche Fehlbenotung.
Das Widerspruchsverfahren
Formal bittet die Euro-FH natürlich darum, erst einmal Kontakt mit der Tutorin oder dem Tutor aufzunehmen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen damit lohnt das nicht; es lässt sich auch schwierig eine Situation darstellen, in welcher der Tutor dann sagt „Ach, so haben Sie das gelesen, das wusste ich ja gar nicht, na gut, dann ändere ich das…“.
Stattdessen direkt zum Widerspruchsformular. Das erfordert einerseits eine allgemeine Begründung und dann konkrete Stellungnahmen zu den Vorwürfen. Diese habe ich auch in einiger Ausführlichkeit getan und dann am 11. Juni abgeschickt zum Widerspruchsausschuss. Dessen Koordinierungsstelle holt dann eine Stellungnahme des Bewertenden ein, dann fällt das Gremium bei einer Sitzung eine entsprechende Entscheidung per Abstimmung. Im Widerspruchsausschuss sitzt auch eine studentische Vertretung.
Das Ergebnis
Am 8. Oktober, also doch mit etwas als „bis zu zwölf Wochen“, ging der Widerspruchsbescheid dann rein postalisch auf den Weg. Das Ergebnis: Meinem Widerspruch wurde „teilweise stattgegeben“, die Note insgesamt von 3.3 auf 2.7 verbessert. Das ist per se sicherlich erfreulich genug. Bei einer 2.7 hätte ich keinen Widerspruch erhoben, auch wenn ich das eigentlich immer noch knapp jenseits meiner Gauss-Kurve sehe.
Das Dokument, das mir von der Euro-FH zugestellt wurde, enthält auch die Stellungnahme des Dozenten. Der Beitrag hier ist schon lang und eine Punkt-für-Punkt-Replik hat ja auch immer etwas unnötig kämpferisches, aber ein paar Äußerungen möchte ich dennoch hervorheben.
- Ich hätte mit einer Kontaktaufnahme meine „Falscheinschätzung, dass wir korrigierenden Personen von der Aufgabenstellung ab weichen [sic] ganz einfach widerlegen können“. Hm?
- Die Note 3.3 sei „eine überdurchschnittliche Note“ und „in der oberen Hälfte der von mir benoteten Arbeiten einzuordnen“. Ich weiß, Noteninflation ist grundsätzlich ein Problem, aber… hm… wirklich?
- Ingesamt „darf sich der Studierende mit der Note 3.3 glücklich schätzen“. Hätte es so ein Nachtreten wirklich gebraucht?
Inhaltlich merkte der Dozent darüber hinaus an, dass Beispiele erwartet gewesen wären (die ich natürlich geliefert hatte) und wiederholte im wesentlichen seine ursprüngliche Erläuterung in jeweils 1-2 Sätzen.
Der Widerspruchsausschuss stimmte dem Dozenten in den Punkten fehlender Beispiele und zu oberflächlich behandelter nebensächlicher Bewertungsverfahren zu, widersprach jedoch bei den reinen Formalie fehlendes Summary und Quellenkennzeichnung von Abbildungen und Tabellen. Meine Hausarbeit zeige eine „gute wissenschaftliche Auseinandersetzung“ und würde dementsprechend eine 2.7 verdienen.
Fazit
Wie so oft im Leben: You win some, you lose some. Fast muss ich dem Dozenten dankbar sein, dass er die leicht widerlegbaren Formalia angeführt hat. Die große inhaltliche Schlucht konnte ich leider nicht überwinden. Da ich keine weiteren Hausarbeiten mehr habe, gibt es für mich keine Folge-Handlungen. Mit einer Zeitmaschine ausgerüstet jedoch hätte ich:
- Eben auch dann mehr nachgefragt, wenn es mir offensichtlich erschien. Das würde ich auch jede:r Leser:in raten, insbesondere im Modul Unternehmensbewertung. Anmerkung: Zu Beginn meines Studiums habe ich das ab und an getan, wenn ich wirkliche Fragen hatte, aber nicht immer hilfreiche Antworten bekommen, und gerade von den enigmatischen Dozenten dann auch die schlechteren Noten.
- Gegen mehr Noten Widerspruch eingelegt. Zu verlieren gibt es eh nichts – eine Verschlechterung ist im Prozess ausgeschlossen..
Formal ließe sich natürlich gegen den Bescheid Klage erheben, aber jetzt ist auch mal gut.
