Wie viel Caesar steckt in Anno 117: Pax Romana?

Spieltrieb

Im Rahmen des Anspiel-Events in Rom gab es zu Beginn eine kleine Vorab-Präsentation, in der das Entwickler:innen-Team auf diverse Design-Elemente von Anno 117 einging. So weit, so erwartbar: Narration bauen, Erwartungshaltung setzen, Aufmerksamkeit lenken, passt. Und auch wenn viele der vorgestellten Aspekte sich entweder zwingend aus Szenario oder Genre ergeben, dachte ich öfters: Ahja, das war ja auch ein wichtiges Element bei der Caesar-Serie, dem Stück Magie, das die Blaupause für antikes Aufbauspielen malte.

Was liegt also näher, als sich einigen dieser Aspekte unter genau dieser Fragestellung zu nähern: Wie sehr ähnelt die Herangehensweise Caesar, wie sehr ähnelt sie früheren Anno-Spielen? Nein, damit will ich natürlich keine Abschreibe-Vorwürfe heben, sondern eben vielmehr beleuchten, wie sehr sich bestimmte Mechanismen aufdrängen, aber dennoch anders gelöst werden können. Ja, bei einem PC-Games-Print-Artikel würde ich jetzt natürlich einen Riesen-Kasten dazu beim Layout beauftragen, mit Icons und Schiebereglern.

Glauben

Keine Caesar-Besprechung kommt ohne sie aus: Tempel für fünf Gottheiten (Ceres, Venus, Merkur, Mars, Neptun), die Impressions Games damals wichtig fand. Tempel (gross/klein) sorgen für die Versorgung für die Bevölkerung mit Weihen an die jeweiligen Gottheiten. Findet die Bevölkerung wichtig als Bedürfnis. Finden die Gottheiten sehr wichtig!

Festivals können vorübergehend auch die göttliche Stimmung heben. (Bildquelle: GOG)

Wenn hier Unterversorgung vorliegt, kann es schon einmal Flüche hageln – und bei guter Versorgung einmalige Boni. Relativ simples Konzept1, aber auch eingängig und es war ja 1998 verdammtnochmalwirhattenjanichts.

In jedem der historischen Annos ist Glaube als Bedürfnis zu erfüllen, und zwar früh: Bereits die Pioniere in Anno 1602 benötigen eine Kapelle zum Aufstieg, später dann eine etwas opulentere Kirche; auch im Orient in Anno 1404 muss entsprechend für Moscheen gesorgt werden. Dennoch bleibt das Konzept ein simples: Glauben ist ein öffentliches Gut, das über ein Gebäude befriedigt wird.

In Pax Romana erweitert sich das deutlich: Die Tempel jeder Insel werden einer bestimmten Gottheit gewidmet; die Anzahl der Menschen im Einflussbereich2 bestimmt, wieviel Glauben dadurch generiert wird. Und die Folge sind nicht nur einmalige Nicht-alles-auf-einmal-ausgeben-Geschenke, sondern eine Kaskade an Effekten, die sich entsprechend steigern. Das lässt sich tatsächlich lesen als zeitgemäße Weiterentwicklung des Caesar-Systems. Plot-Twist Eins: Soweit bis jetzt bekannt, gibt es keine Negativ-Effekte vernachlässigter Gottheiten. Plot-Twist Zwei: Es stehen auch nicht römisch-griechische Göttinnen und Götter bereit!

Screenshot aus Anno 117: Pax Romana mit den Möglichkeiten für Ceres als Schutzgöttin
Ceres gibt grundsätzlich Produktionsboni auf Getreidekram – mit aufsteigendem Glauben verbessert sich das.

Fazit: Hier kommen die Weiterentwicklung der Serie und die Ideen des Rom-Klassikers am Meisten zusammen, wenn auch mit einigen Wandlungen.

Arbeitskräfte

Eine der ersten „Oh, wie clever“-Momente in Caesar 3: Mit zunehmender Arbeitslosigkeit steigt die Zahl der Menschen, die auf den Stufen vor dem Senat herumlungern. Arbeitskräfte-Verwaltung bildete eine stete Herausforderung – für Noobs die Arbeitslosigkeit, für Fortgeschrittene das Gegenteil, auch weil die Arbeitskraft pro Haus im späteren Spiel weniger werden3. Die Arbeitskräfte mussten dabei auch tatsächlich erreichbar sein – nach dem Bau eines Industrie- oder Handwerksbetriebes lief eine Person aus diesem, und wenn sie keine Häuser fand, wurden dem Betrieb auch keine Arbeitskräfte zugewiesen – zusammen mit der negativen Attraktivität von Industrie eine Herausforderung4. Der Nachfolger verfeinert das System über einen Mittelstand, Equites5, deren unterschiedliche Arbeitsplatzzuweisungen entsprechend berücksichtigt werden müssen.

Arbeitskräfte-Verwaltung kam zur Anno-Serie mit 1800; hier gab es dabei nicht nur die klassenweise Stellen-Zuschreibung, sondern zusätzlich auch eine Insel-Komplexität6. Das wird auch mit Anno 117 beibehalten – Arbeitslosigkeit stellt per se kein Problem dar, die Unterversorgung von Betrieben mit den richtigen Fachkräften schon7.

Fazit: Arbeitskräfte-Verwaltung ist in zahlreichen Aufbau-Spielen ein wichtiger Faktor, auch etwa bei Manor Lords. Insofern ist Anno hier einen genre- und vorgängertypischen Weg eingeschlagen.

Kämpfe

1998 punkteten sie beide mit ihren verbesserten Kampfmodi. Caesar 3, das sich von dedizierten Schlacht-Feldern seiner Vorgänger – am ehesten vergleichbar mit den Wechseln der Total War-Serie – verabschiedete und uns direkt in den Stadtbildschirmen Schwerter schwingen ließ. Und Anno 1602, dass den vermeinten Makel an Siedler 2, die indirekten Angriffe, mit einer Command & Conquer-artigen Steuerung der Truppen beseitigte. Zwei weitere Anno-Teile versuchten es mit Land(e)-Truppen, bis Related Designs/Ubisoft Mainz das Konzept aufgab und nur noch die Schiffe Kanonensalven abschießen ließ.

Screenshot aus Caesar 3 mit Kampfbildschirm (inkl. Kriegselefanten)
Sah ok aus, bediente sich sehr mäßig: Die „Echtzeit“-Kämpfe in Caesar 3.

Meine Hügel-auf-dem-ich-sterbe-Meinung: Echtzeit-Kämpfe und Aufbau-Strategie passen inhärent nicht zusammen. Einstweilen hat sich Ubisoft Mainz – deren Ursprung ja als RTS-Studio begann – auch aufgrund des Szenarios eben dazu entschieden, diese zurückzubringen. Aufgrund der insularen Natur eines Anno kommt hier zusätzlich die Komplexität des Landens und Verladens mit dazu, die es so in keinem Caesar gab.

Fazit: Ur-Anno und Caesar haben hier viel gemeinsam, wobei das Truppen-Management im Impressions-Games-Aufbauspiel nochmal sehr klobig und feedback-arm war. Moderne Anno – also alle vier Teile der letzten 17 Jahre haben sich aus Echtzeit-Landkämpfen rausgehalten; soweit es sich aus den aktuell erhältlichen Informationen erkennen lässt, dürfte der Kampf aber Elemente aufgreifen, die auch in Caesar bekannt waren – aber das liegt eher in der Natur der Sache. Doch wo wir in Caesar nur gegen nicht-römische Truppen – oder den Herrscher selbst, wenn wir’s zu bunt getrieben hatten – vorgehen mussten, wird es Pax Bello Romana auch Konflikte zwischen den Statthalter:innen geben8.

Brandsicherheit

Brände waren immer ein Problem in der Caesar-Serie, und die Videosequenz tröstete wenig. In den südlicheren Klimazonen eine Präfektur zu vergessen, konnte teure Gebäude in Sekundenschnelle buchstäblich Schutt und Asche aufgehen lassen; Feuer sprangen über und kamen auch mit desaströsen Effekten für die Attraktivität der umliegenden Gebiete.

Feuersbrünste in Caesar 3 wurden mit einer hinreichend dramatischen Videosequenz angekündigt (Bildquelle: GOG).

Auch in Anno sind Feuer nicht neu. So gar nicht – bereits in Anno 1602 war die Feuerwehr ein Gebäude, allerdings waren die Umstände von Feuern deutlich spezieller als die omnipräsente Pyromanie eines Caesars. Fun fact: Brände wurden nicht mitgespeichert, ließen sich also durch Speichern-und-wieder-Laden löschen. Auch in den sämtlichen anderen sämtlichen anderen bisherigen Anno-Teilen wurde mit dem Feuer gespielt. Dabei gab es immer Nuancen – mal beschränkte sich Brandgefahr auf (hölzerne) Wohngebäude, mal gab es sie primär als Folge von Katastrophen.

Insofern ist die Omnipräsenz der Brandsicherheit als eine von acht Attributen unseres Städtebaus keine große Neuerung, sondern eher eine leichte Erhöhung ihrer Relevanz; auch die Verzahnung der mit der Forschung nicht (in Anno 2205 ließen sich diverse Upgrades erforschen).

Forschung

Gibt es nicht in der Caesar-Reihe. Bisschen progressive disclosure in der Kampagne muss reichen. In Anno 1503 und 1701 konnte in Schule und Universität geforscht werden, mit rund 50 möglichen Fähigkeiten/Gebäuden/Einheiten/Boni.

Forschungsbaum (Ausschnitt) in Anno 117: Pax Romana
Ein Beispiel aus dem zivilen Forschungsbaum: Die verfügbaren Arbeitskräfte einer neuen Villa – und damit einer neuen Siedlung – ohne Häuserbau nach oben treiben.

Das wird jetzt verdreifacht und um ein wenig mehr Komplexität ergänzt. Zum Einen, weil die Generierung von Wissen nicht mehr automatisch durch Bewohner:innen der entsprechenden Zivilisationsstufen geschieht, sondern nur durch jene in Reichweite eines Grammaticus. Zum Anderen, weil die Forschung wesentlich komplexere Abhängigkeiten hat als das lineare System in Anno 1701 mit genau zwei Alternativen je Forschungszweig.

Rom-ist-toll-Faktor

„Römer würden das ungenießbar finden“ erklärt ein Tooltip auf ein Feld wildes Getreide, das die Barbaren nahe ihrer Siedlung gebaut haben. Die Caesar-Serie ist nicht subtil, wenn es darum geht, die Überlegenheit Roms zu postulieren und das Schicksal der befriedeten Völker als logische Konsequenz darzustellen.

Im Gegensatz dazu bemüht sich Pax Romana ernsthafter – auch ernsthafter als alle Vorgänger mit ihrem Wohlfühlmittelalter -, die tatsächliche Konfliktsituation darzustellen. Bereits die Key Art, also das ständig verwendete Bild, macht den Widerspruch deutlich.Inwieweit es die Bevölkerung vielleicht gar nicht mal so prima findet, Latein lernen und Steuern nach Rom abdrücken zu müssen und ihre eigene Kultur bewahren möchte, wird als zentrales Element angepriesen. Der Kontrast fällt damit deutlich aus.

Screenshot von Anno 117: Pax Romana mit Epona als möglicher Schutzgötting
Dem gesellschaftliche Pluralismus im Römischen Reich wird unter anderem Rechnung getragen, in dem auch keltische Gottheiten wie hier Epona als Schutzgöttin ausgewählt werden können.

Und: Wo in der Caesar-Serie Aquädukte und gepflasterte Straßen quasi von Beginn an zur Verfügung stehen und auch früh eingesetzt werden müssen, hält sich Pax Romana mit beidem recht weit zurück. Je nach Spielgeschwindigkeit sieht wenigstens die erste Stunde einer neuen Siedlung deutlich pastoraler aus, ehe Beton für den klassischen Look sorgt.

Fazit: In einem sehr flüchtigen Moment beim Anspiel-Event in Rom dachte ich: Hach, das sieht tatsächlich stark nach Anno 1800 mit anderem Grafik-Set aus. Das stimmt natürlich so nicht (→ flüchtiger Moment); aber es verdeutlicht, dass der Schwerpunkt der Entwicklung war, ein funktionierendes System und eine etablierte visuelle und lesbare Identität zu übertragen. Eine Gemeinsamkeit: Rom hält gerne die Hand auf – auch das aber gibt es Anno 1701 schon in gewisser Weise mit den Tributen der Königin.

Bewertungskriterien

Noch heute schrecken Heerscharen ehemaliger Hobby-Cäsaren nachts auf, wenn sie sich an die ungemein schwierige Kampagne erinnern, die im späteren Verlauf geradezu aberwitzige Siegbedingungen stellte. Kultur, Frieden, Wohlstand, Gunst – in einem Menü zeigten uns Tempelsäulen, wie viel wir zu erreichen hat, um aus der Perspektive Roms würdig zu sein, vor dem Senatsgebäude wurden Flaggen in die entsprechenden Höhen gehisst.

Noch sind die genauen Fortschrittsmechanismen etwa in der Kampagne von Anno 117 noch nicht klar; aber wie serienüblich sind zum Beispiel einige Fortschritte an das Erreichen einiger Meilensteine in Attributen gekoppelt. Derer gibt es insgesamt acht: Bevölkerung, Einkommen, Glauben, Wissen, Zufriedenheit, Gesundheit und Brandsicherheit waren bereits vor der Präsentation bekannt. Tatsächlich saß ich mit dem Notizbuch da und kritzelte „Militär?“ als Hypothese für die Nummer Acht. Dem ist nicht so: Prestige heißt das letzte Merkmal unseres Könnens.

In den einzelnen Kriterien hier liegen natürlich Unterschiede. Dennoch besteht hier ein recht deutlicher Unterschied zur bisherigen Serien-Tradition – und die Caesar-Idee, ein allgemeines Ansehen für unseren Fortschritt nicht nur am Kontostand festzumachen, hat sich ebenfalls fortgesetzt.

Gelände und Gelände-Effekte

Noch ein Fun Fact: In Anno 1602 wird Wasser nicht in den Karten mitgespeichert9, weil es der Standard-Zustand der Welt ist. Das Spiel mit der Quersumme 9 war schon immer ein Titel für Inselreiche. Rom dagegen haben wir eher kontinental vor unseren innerem Auge. In der Caesar-Serie gibt es Karten mit Inseln. Aber wenn, dann werden die mit Brücken10 verbunden. Die grundlegende Struktur einer Karte hingegen hat immer eine Land-Straße und einen Fluss.

Caesar 3: Migration erfolgt auf dem Landweg.
Neu-Römer erhält das Dorf bei bei Caesar ausschließlich auf dem Landweg. (Bildquelle: Mobygames.)

Hier bleibt sich Anno treu – zumindest die vorgegebenen Karten hatten auch recht kleine Inseln, sodass eine Eiland-Expansion bald erforderlich wird.

Was dagegen stärker und verzahnter wird: Gelände-Effekte von Gebäuden. Gab es in Caesar primär mit Attraktivität11, wird hier mit allen o.g. Attributen verknüpft. Hier wird es allerdings etwas kleinlich – das ist eine im Genre so übliche Mechanik, dass ich sie eher als allgemeine Fortentwicklung sehen würde als als Caesar-/Rom-Notwendigkeit.

Fazit

Sinn dieses Artikels war es nicht, Ubisoft Mainz auf mögliche Kopisten-Vorwürfe abzuklopfen – dass sich jemand hinsetzt und Feature-Listen eines fast dreißig Jahre alten Titels anfertigt, geht ins Reich der Verschwörungstheorien. Aber spannend ist doch die Frage, ob sich aus dem Szenario einige Gamedesign-Entscheidungen ergeben, die auch mit erheblichem zeitlichen Unterschied ähnlich gefällt werden. Gerade im Bereich Glauben und Bewertungen unserer Aktionen sehe ich davon etwas, wenn auch mit mehr Zahnrädern bei Ubisoft.

Gleichzeitig finden sich aber auch – mehr – Bereiche, in denen Pax Romana Dinge eher so tut, wie es die Serie schon immer gemacht, egal ob Rom oder Mond der Schauplatz sind. Insofern hat mich die Betrachtung einerseits in meinem Eindruck bestärkt, dass der Marken-Kern erhalten bleiben wird – und war auch ein unterhaltsamer Ausflug, um Szenario-Zwänge zu ergründen.

Post Scriptum

An dieser Stelle möchte ich zudem anführen, dass das Cover von Caesar 2 diagonale Straßen zeigt.

Die Packung von Caesar 2
Visionär? Schräge Straßen in Caesar 2. Zumindest auf der Packung. (Bildquelle: Mobygames.)
  1. Insbesondere in Zeus und dessen Add-on Poseidon wird das noch einmal erheblich aufgedreht – dann laufen mythologische Kreaturen auch einfach mal direkt durch unser Städtchen. ↩︎
  2. Und etwaige Boni durch Forschung. ↩︎
  3. Patrizier:innen arbeiten nicht. ↩︎
  4. Ein Trick: Es reichte, wenn irgendein bewohntes Haus erreicht wurde, um einen Betrieb an den stadtweiten Arbeitskräfte-Pool anzuschließen. ↩︎
  5. Richtig, das ist auch die dritte Bevölkerungsstufe in Pax Romana. ↩︎
  6. Pendeln war im mittleren Spielverlauf möglich, um inselübergreifend Arbeitskräfte hin- und herzuverschiffen. ↩︎
  7. Ob es wieder einen Pier für Pendler:innen gibt, ist derzeit unklar; in der Forschung lassen sich aber zum Beispiel Entwicklungen freischalten, mit denen die Basis-Arbeitskraft einer Insel erhöht wird. ↩︎
  8. Im Gespräch gab sich Creative Director Manuel Reinher relativ bedeckt, wie das narrativ in der Kampagne gelöst werden wird. ↩︎
  9. Vgl. etwa das Reverse Engineering der Savegames im Community-Projekt Anno 2018. Und ja, das sowohl Feuer als auch Wasser im Spiel technisch vergänglich sind, hat etwas für sich. ↩︎
  10. Eine Idee, die ich für die Eisenbahnen in Anno 1800 sehr geschätzt hätte. ↩︎
  11. Für das tatsächliche Funktionieren von Gebäuden sorgte ein Walker-System, siehe Abschnitt zu Arbeitskräften ↩︎

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