Alle fünf Jahre gibt es das Herbsttrio der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Drei Neue Bundesländer, allerdings jeweils mit Regierungen angeführt von anderen Parteien. In Thüringen stellen sich unter anderem zur Wahl: Bodo Ramelow, der einzige Linke-Ministerpräsident und seit 2014 mit einer kurzen Unterbrechung Regierungschef und Thomas Kemmerich, für besagte Unterbrechung verantwortlich. Sowie natürlich alle anderen gängigen Parteien und zum ersten Mal das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Wie ist es also um die bisherige Entwicklung des Freistaates bestellt? In vielerlei Hinsicht typisch für ein ostdeutsches Bundesland – starke klassische große Partei, die teilweise mit absoluter Mehrheit den Regierungschef stellt (in diesem Fall die CDU), dahinter die andere große Partei, die deren langsam abnehmende Zustimmung weitgehend nachzeichnet (hier die SPD), und für Bündnis 90/Die Grünen und FDP hmnajat die Situation.
Im Unterschied zu Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und und spielt die PDS/Linke allerdings nicht nur die zweite Geige, sondern konnte stetig bei jeder Wahl an Zustimmung gewinnen. Bereits 1999 verdrängte sie die SPD auf den dritten Platz. Das hatte zur Folge, dass die bereits seit dem Magdeburger Modell praktizierte Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS/Linke irgendwann in einem Ministerpräsidenten der SED-Nach-Nachfolgen münden würde – im Gegensatz zu Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD das Zepter jeweils das Zepter in der Hand hielt.
So bezog Bodo Ramelow 2014 die Erfurter Staatskanzlei, und auch wenn die CDU natürlich in zeterndem Antikommunismus antikommunistisch zetern musste, fiel der Himmel nicht auf die Landstriche zwischen Gera und Gotha. Dann jedoch schnellte der blaubraune AfD-Balken in die Höhe, und zusammen mit knappen Einzügen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen ergab sich ein Patt, keine Macht für niemand.
Bekanntermaßen wurde das im dritten Wahlgang wohl mit AfD-Stimmen aufgelöst und zum ersten Mal seit 1953 gab es in der Bundesrepublik wieder einen liberalen Regierungschef. Vong Regierungshandeln her eher mäßig aktiv – keine Minister oder Kabinettsetzungen, die Bundesratswebsite färbte das Thüringer Kuchenstück zwar gelb ein, eine Delegation fuhr jedoch nicht nach Berlin -, sorgte der Kurzzeit-Job jedoch für eine der größten innenpolitischen Krisen der Vor-Corona-Zeit. (das dürfte erklären, warum sich das alles nach „ist doch zwanzig Jahre her“ anfühlt). Annegret Kramp-Karrenbauer verlor ihren Vorsitz, die Bundes-FDP ignoriert ihren Thüringer Landesverband und die meiste Zeit toleriert die CDU Rot-rot-grün in Loriot-artigen Auswüchsen, die nicht ganz meiste Zeit findet sich eine national-bürgerliche Mehrheit zur Brandmauerinspektion.
Und da habe ich noch gar nicht über den BSW gesprochen. Per se wäre die Situation in Thüringen schon angespannt, aber immerhin konnte die Linke sich gegen den allgemeinen Trend auf einen beliebten Regierungschef verlassen. Die Abtrünnigen um, von und für Sahra Wagenknecht dürften die Situation am Sonntag nächste Woche noch einmal deutlich komplizierter machen. Bei der Europawahl konnten sie immerhin 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.
Insofern schauen am 1. September viele Augen gebannt auf Jörg Schönenborns Diagramme. Die Thüringer FDP etwa geht auf maximales Kontrastprogramm zur Ampel und versucht, aus Kemmerichs, äh, Regierungszeit Kapital zu schlagen. Die Linke versucht, das vielleicht einzige nicht-desaströse Flächenlandergebnis der jüngeren Zeit zu erzielen, wobei auch intern der Glaube wankt. Währenddessen zittern auch Grüne und SPD(!) um den Einzug.
Offenlegung: Ich bin seit 2009 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und war von c. 2002 bis 2009 Mitglied der FDP.