Klima-Volksentscheid in Berlin 2023: Ungünstige Vorzeichen

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Am übernächsten Sonntag wird in Berlin wieder in die Wahl-, pardon, Abstimmungslokale gerufen. Nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl steht nun das Volksbegehren an, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen.

Wie üblich möchte ich hier keine inhaltliche Bewertung vornehmen, sondern die anhand historischer Daten die Erfolgsaussichten dieser Initiative beleuchten. Wem die Absätze und das Bildchen zuviel Lesematerial ist – die Kurzfassung lautet „Sieht schlecht aus“.

Sechs Volksbegehren haben es seit 2006 hierher geschafft, die sich in verschiedene Kategorien einordnen lassen: Ging um es einen echten Gesetzesentwurf mit direktem Copy&Paste in die Landesgesetze oder um eine Handlungsaufforderung an den Senat, sich bitte irgendwie mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen? Fanden Sie zeitgleich mit einer Wahl statt oder isoliert? Und schließlich: Waren sie erfolgreich, konnten also die Mehrheit aller Stimmen und dabei mindestens 25% der Wahlberechtigten auf sich vereinigen?

VolksentscheidGesetz oder AufforderungZeitgleich mit WahlErgebnis
Weiterbetrieb TempelhofAufforderungNeinUnecht gescheitert
Pro ReliGesetzNeinAbgelehnt
WasserbetriebeGesetzNeinErfolgreich
Rekommunalisierung EnergieversorgungGesetzNeinUnecht gescheitert
Tempelhofer FeldAufforderungJaErfolgreich
Weiterbetrieb TegelAufforderungJaErfolgreich
Deutsche Wohnen & Co. EnteignenAufforderungJaErfolgreich
Klima 2030GesetzNein
Tabelle: Bisherige Volksentscheide in Berlin. Ein „erfolgreiches“ Ergebnis bezieht sich einzig auf den numerischen Abstimmungserfolg, nicht auf die inhaltliche Umsetzung danach.

Die letzte Spalte ist bewusst ein rein numerisches Ergebnis, weil gerade bei Aufforderungsbegehren keinen unmittelbaren Umsetzungszwang ausüben, wie ich bereits bei meinem Beitrag zum Enteignungsvolksentscheid kritisiert habe. Aber diese Hürde wird am Sonntag nicht die höhere sein, denn von allen vier bisherigen Entscheiden, die nicht zusammen mit einer anderen Wahl – und sei es eine zum EU-Parlament – zusammenfallen, nur ein einziges erfolgreiches.

Das einzige erfolgreiche Solo-Votum war jenes für „Unser Wasser“ – ich erinnere mich noch gut an den Tag und die tatsächliche Überraschung in der Berichterstattung über den Erfolg, es sah noch um die Mittagszeit düster aus. Was macht den Entscheid anders? Eine Zustimmungsrate, wie man sie östlich der Friedrichstraße in Berlin noch aus den 1980er Jahren kennt: 98,2 Prozent. Der Tagesspiegel etwa bemühte sich dereinst, ein Pro und Kontra zu bauen, ein wirkliches Gegenargument außer ein paar sehr speziellen Beschäftigungsverhältnissen fiel ihnen aber nicht ein.

Diagramm: Bisherige Volksentscheide in Berlin und ihr jeweiliger Anteil an Ja-/Nein-Stimmen sowie zum Vergleich die analogen Werte für Parteien zur letzten Abgeordnetenhauswahl. Volksentscheide mit einem Sternchen fanden zeitgleich mit einer anderen Wahl statt. Entscheidend für den Erfolg eines Entscheides: Blauer Balken über 25% und größer als der orange-farbene. Rohdaten auf meinem OneDrive.

Eine solche universelle Zustimmung ist selten – und nötig, um unechtes Scheitern, also den Mehrheitsgewinn bei Verfehlung des 25%-Quorums, zu verhindern. Selbst 83% Ja-Stimmen für den Energie-Volksentscheid 2013 reichten nicht aus, gut 60% für Tempelhof schon gar nicht. Denn: ohne gleichzeitige Wahl gingen eben höchstens 36% der Berechtigten in ihr Abstimmungslokal, und das war 2006 nach einer Strategische-Ausrufezeichen-Kampagne aus dem Hause Springer. Die beiden anderen wahl-losen Abstimmungen schafften es auf nicht einmal 30% Beteiligung.

Damit ist klar: Um das Quorum zu erzielen, müsste eine über-über-überwältigende Mehrheit am Sonntag für den Entscheid stimmen, der Inhalt des Antrags also keinen halbwegs ernsthaften Widerstand haben. Auch ohne demoskopische Untersuchungen erlaube ich mir die Hypothese, dass dem nicht so ist: Einzig und allein bei Bündnis 90/Die Grünen findet der Volksentscheid auf der Webseite statt, alle anderen Parteien erwähnen derzeit nicht einmal auf der Homepage, in konkreten Nachfragen positionieren sie sich dagegen. Auch hat die jüngste Wahl eben keinen Schwung erkennen lassen, dass Klima-Themen aktuell einen in der erforderlichen Breite nötigen Schwung haben.

Die Kombination aus Wahltag und per se diskutablem Inhalt wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür sorgen, dass der Entscheid bestenfalls unecht scheitert.

In das obige Diagramm habe ich auch einmal die Daten der letzten Abgeordnetenhauswahl eingefügt – und tatsächlich könnten alle möglichen Koalitionen das 25%-Quorum deutlich nehmen. So lässt sich immerhin das Argument entkräften, direkter Demokratie hätte höhere Hürden zu überwinden als die repräsentierende Form.

Korrektur: Die Ursprungsfassung des Beitrages sprach von einer Abstimmung am kommenden, nicht am übernächsten Sonntag.

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