Das nach Fläche zweit- und nach Einwohnerzahl viertgrößte Bundesland der Republik schließt am kommenden Sonntag die Urnengänge für dieses Jahr ab. Nachdem die Wahlen in Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Frühjahr ein gemischtes Bild zeigten… sieht es für den 9. Oktober ähnlich aus. Keine große Klatsche für Landes- oder Bundesregierung unisono, kein Beginn eines Oppositionsfeldzugs zurück ins Kanzleramt. Die Ampel-Regierung steht nicht großartig da (und hat in den letzten Wochen noch einmal eingebüßt), aber im Vergleich zu Vorgänger-Koalitionen auch nicht skandalös schlecht. Die große Koalition in Niedersachsen – durch den Einzug der AfD, deren Fraktion sich inzwischen aufgelöst hat, waren andere Zwei-Parteien-Bündnisse nicht möglich – hat ihre Arbeit zumindest hinreichend geräuscharm erledigt.
Doch zunächst: Wie hat sich die politische Situation im Nordwesten historisch entwickelt?
Im Diagramm (Rohdaten wie immer auf meinem OneDrive) wird deutlich:
- Die SPD konnte sich nach der krachenden 2000er-Niederlage langsam wieder erholen und ist nicht auf ewig geschwächt geworden wie in vielen anderen Ländern
- CDU und SPD haben zwar insgesamt summiert an Zustimmung verloren wie überall, aber immer noch einen deutlichen Abstand zu den sonstigen gehalten. Keine andere Partei kam im Betrachtungszeitraum je auf 15% der Stimmen
- Die FDP war immerhin seit 2003 stabil im Landtag, die Linke nur ein einziges Mal.
Die Aussichten
Die historisch einigermaßen verlässlichen Umfragen deuten darauf hin, dass sich viele dieser Trends am Sonntag bestätigen werden. Die Grünen werden wahrscheinlich einiges an Zustimmung gewinnen, aber wie schon fast gewohnt weit unter den Höchstwerten von vor einem Vierteljahr einen guten dritten Platz einfahren, insgesamt zulasten von SPD und CDU. Erstmals in der jüngeren Landesgeschichte wird damit eine der großen Parteien wohl unter 30% der Stimmen landen.
Spannend für mögliche Koalitionsbildungen auf Landes- und Koalitionsstimmung auf Bundesebene: Verpasst die FDP den Einzug in den Landtag? Dagegen spricht, dass die vergangenen Umfragen immer etwas zu kritisch für die FDP waren. Allerdings war ein wesentlicher Faktor in der Vergangenheit auch taktisches Wählen 2013 zuungunsten der CDU, um eine mögliche rot-grüne Regierung zu verhindern (der Teil hat nicht geklappt). Das rot-grüne Gespenst malen die Liberalen folglich wieder an die Wand – ob es diesmal wieder zieht?
Für die Linke gibt es zum vierten Mal in Folge einen Selters-Abend – die AfD hingegen wird wahrscheinlich ihren Stimmenanteil ausbauen können nach den enttäuschenden Ergebnissen im Frühjahr.
Offenlegung: Ich war von c. 2002 bis 2009 Mitglied der FDP und bin seit 2009 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.