Update Februar 2022: Die kürzlich bekannt gewordene Kommission des Berliner Senats scheint mir eine adäquate Ausgestaltung zu besitzen. Der Ursprungsbeitrag folgt.
Ich halte die kürzlich in Berlin durchgeführte Abstimmung zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen für wahrscheinlich wenig zielführend und möglicherweise schädlich. Dennoch muss die Politik sich daran setzen, sie so sinngemäß wie möglich umzusetzen.
Die Argumente zum eigentlichen Für und Wider des Abstimmungsinhaltes wurden bereits von jeder Seifenkiste durch jedes Megaphon in der Stadt geworfen. Und: die Abstimmung ist eben gelaufen, eine weitere Auseinandersetzung zur Sache jetzt nicht das vorderste Anliegen.
Was aber anliegt: dass Politik die Bevölkerung ernst nimmt. Ein Großteil der „die da oben“-Tiraden in Kneipen und auf Twitter argumentiert bestenfalls unterkomplex, doch in diesem Fall scheint die Lage klar: Eine Immerhin-Fast-Zwei-Drittel-Mehrheit der Bevölkerung hat den Willen bekundet, große Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften zu für die Staatskasse angenehmen Konditionen. Das mag, wie die Gutachten–Schlacht andeutete, rechtlich funktionieren oder nicht, es mag dem Mangel an günstigem Wohnraum helfen oder nicht, aber es ist ein erklärter Wille der Bevölkerung.
Diesen umzusetzen – nicht nur zu prüfen -, und sei es mit einer (weiteren) Niederlage vor einem Gericht, ist die Priorität, denn das Gut „Vertrauen der Bevölkerung, dass ihre Interessen vertreten werden“ wiegt mehr als Sachfragen. Auf einer banaleren Ebene ist gerade eine Regierung mit Grünen und Linken gut beraten, ein Kernanliegen ihrer Wählerschaft anzugehen.
Randüberlegung: Das Problem nicht-bindender „Willensbekundungen“
Dennoch kann die aktuelle Situation auch mal wieder Gelegenheit sein, das Instrument nicht unmittelbar bindender Plebiszite zu hinterfragen. Denn hier ergibt sich ein ungemütliches Spannungsfeld:
- durch die Abstimmung selbst ist letztlich, vor allem Spin, eine klare Meinungsäußerung der Wahlbevölkerung ersichtlich, und natürlich muss diese in einer Demokratie umgesetzt werden – so entsteht eben eine starke implizite Bindung
- gleichzeitig sind Volksentscheide ohne konkretes Gesetz – sei es der zum Enteignen1, fürs Offenhalten von Flughäfen oder sogar jenseits des Kanals zum Brexit – enorme Projektionsflächen für alle Hoffnungen der Zustimmenden. Wäre ein konkretes Austrittsabkommen zur Abstimmung gestellt, könnte jetzt niemand sagen, dass sei ja „der falsche Brexit“. Jeder Fehler eines Gesetzentwurfes zur Vergesellschaftung kann von der Initiative als schlechte oder Nicht-Umsetzung ihrer Inhalte gewertet werden und und und.
Was folgt daraus? Wenn wir Plebiszite für ein gutes Element der Demokratie halten, dann sollten wir das als Recht und Verantwortung begreifen: Zur Abstimmung werden ausschließlich Gesetzesvorhaben gestellt, die danach 1:1 Beschlusslage des jeweiligen Landes werden. Vorherige rechtliche Überprüfungen sind möglich, aber Normenkontrollklagen etc. natürlich erst Nachinkrafttreten.
Somit könnte dem Wunsch nach Beteiligung der Bevölkerung entsprochen werden, ohne sich ständig in ungünstige Erklärungsnotlagen zu manövrieren.