Wohl jeder Mensch mit Spielerfahrung erinnert sich an Momente, in denen die präsentierte Erzählung besonders nahe ging. Der Tod eines beliebten Charakters, das Auflösen einer besonderen Ungerechtigkeit, vielleicht das Zustandekommen einer Beziehung.
Seltener: Dass diese Augenblicke in einem historischen Setting sind und die ganze Kraft des Mediums nutzen, um das eigene Empfinden bis an die Grenzen herauszufordern.
Die menschliche Vorstellungskraft sträubt sich dagegen, sich vor Augen zu führen, was inzwischen mit dem Begriff Shoah oder Holocaust bezeichnet wird…
Schwanitz, D. „Bildung“, Eichborn; Frankfurt am Main, 1999
Diese Verbrechen sind von so alptraumhafter Dimension, da[ss] es unmöglich ist, sie zu begreifen.
Dem Rundenstrategiespiel Through the Darkest of Times von Paint Bucket Games/THQ Nordic gelingt das. Wenn im Wochenrhythmus die Gleichschaltungsvorgänge nach der Machtübernahme reinprasseln oder eine Erzählung den Holocaust verbeispielt – so oft ich das auch schon gehört, gelesen und verinnerlicht hatte, die Intensität hier ist noch mal erhöht. Damit erfüllt TtDoT sein Kernanliegen und ist ein bewundernswertes Produkt.
Runde für Runde im Widerstand
Das eigentliche Spiel besteht aus zwei Komponenten: einer Runde für Runde ablaufenden Simulation einer Widerstandsgruppe im Dritten Reich sowie dabei gelegentlich eingeschobenen Erzählpassagen mit etwas Entscheidungsfreiheit. Vier Kapitel lang führen wir eine mit zufälligen Charakteren bestückte Truppe durch Berlin – in den Wochen unmittelbar nach der Machtergreifung, dem Vorlauf zu den Olympischen Spielen 1936, dem Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion und schließlich dem Untergang des Reiches von Weihnachten 1944 bis zur Einnahme Berlins.
Die Truppe hat dabei drei Basiswerte zu beachten: Moral, die Anzahl der Unterstützer und natürlich – leider im Interface etwas versteckt – Geld. In jeder Runde sinken Moral und Anzahl der Unterstützer, zudem werden Ereignisse wie etwa Verhaftungen im Familienkreis der Widerstandsgruppe die Moral weiter senken. Geld bekommt zum Einen von den Unterstützern, lässt sich zum Anderen aber auch über Spenden einsammeln. Und mit dem Geld lassen sich wiederum etwa Papier für Flugblätter oder Farbe für das nächtliche Anbringen von Parolen kaufen.
Jede solche Aktion – Spendeneinsammeln, Papierholen, Häuserwandbemalen – braucht mindestens ein zugewiesenes Mitglied der Gruppe. Verschiedene Faktoren wie die Fähigkeiten oder die politische Ausrichtung des geschickten Mitglieds haben dabei Einfluss auf die Erfolgsaussichten – so ist es sinnvoller, einen konservativen Christen zum Rekrutieren in die Kirche zu schicken und die werktätige Sozialdemokratin in die Fabrik. Hinzu kommen weitere steigerbare Attribute – etwa Stärke oder Empathie – und individuelle Ja-/Nein-Eigenschaften wie Furchtlosigkeit.
Die Aktionen selbst werden sehr brettspielartig geplant – auf der Karte auswählen, Personen zuweisen, Zubehör wie Fahrräder eintüten. Die Wahl der Akteure und des mitgebrachten Krams beeinflusst zudem den „Gefahr“-Balken, den jede Aktion hat. Irgendwo im Wald einen Freund treffen ist harmlos, das Verteilen von Flugblättern schon drastischer und die Kontaktaufnahme mit den Allierten oder Sabotageakte eine enormes Risiko. Geht etwas schief, sind Flucht oder Verstecken immer noch eine Lösung – falls das nicht klappt, können die Mitglieder verletzt, verhaftet oder getötet werden. Und dann gibt es wieder Möglichkeiten, über beschaffte Medikamente oder Befreiungsaktionen…
Es wird ersichtlich: TtDoT hat eine grundsätzlich hinreichend komplexe Mechanik, auf der brettspielartigen Aufbau eben viele Komplexität gegeben wird, von wechselnd gefährlichen Stadtbezirken über voneinander Aufträge bis hin zu Missionen, die nur kurz verfügbar sind, die andere Aufträge voraussetzen oder sich aus den Geschichten (dazu gleich mehr) ergeben. Oder auch die vielen nur über bestimmte Missionen erzielbaren Spezielgegenstände wie Uniformen oder Waffen, um andere Missionen überhaupt bestreiten zu können. Hier entsteht ein sehr durchdachter Baukasten, der das beste aus dem düsteren Setting macht, um kleine wie große Ziele zu setzen.
Nur: Als reines Strategiespiel funktioniert das leider alles nicht durchgehend so flüssig wie geplant.
Holprige Aspekte im Spielverlauf
Das liegt zum Einen an kleineren Tücken des Interfaces. Geld ist im Gegensatz zu Moral und Unterstützern nicht permanent sichtbar, sondern muss erst im Inventar aufgestöbert werden. Wer sich etwa durch politische Einstellung oder sozialen Hintergrund für eine Mission besonders eignet, wird erst nach dem Zuweisen auf einen Missionsplatz sichtbar, nicht schon im Tooltip bei der Vorauswahl. Das erneute Zuweisen bereits für die Runde abkommandierter Truppenmitglieder erfordert zuviele Klicks. Nichts davon schlimmschlimmschlimm, aber zwei Revisionen der Benutzeroberfläche hätten nicht geschadet.
Bitterer aber: In der eigentlichen Spielmechanik knarzt es zu sehr. Dass die Mitglieder der Widerstandsgruppe aufsteigen können, ist grundsätzlich ein prima Mechanismus – dessen tatsächliche Auswirkungen sich aber kaum bemerkbar machen. Während die Aktionen ausgeführt werden, gibt es außer beim Entdecktwerden gar keine Eingriffsmöglichkeiten, im Gegensatz etwa zu den komplett interaktiven Außeneinsätzen bei This War of Mine (siehe Beitrag).
Und: wenn das Spiel einmal etwa durch eine Kette schlechter Ereignisse in einem schlimmen Zustand ist, was Moral, Finanzen und Unterstützerkreis angeht, braucht es eine Weile, um die Situation wieder zu beheben. Das gerne herbeigezogene historische Beispiel ist die Steuerschraube der Anno-Reihe, mit der sich temporäre Engpässe zulasten der Bevölkerungszufriedenheit überbrücken ließen. Steht es in TtDoT schlimm um die Widerstandsgruppe, müssen ein paar Runden lang fast ausschließlich Spenden und neue Unterstützer eingesammelt werden – inklusive zahlreicher Dialoge, die sich nicht abbrechen oder abkürzen lassen. Hier wäre ein grundsätzlicher Automatismus enorm hilfreich gewesen. Sobald die Unterstützer-Gruppe dann aber groß genug ist, kommen auch über deren allrundliche Spenden genügend Gelder rein, um sich den eigentlichen Aktivitäten zuzuwenden.
Ein weiteres Defizit: Namen, Aussehen, Werte und Biographien der gesamten spielbaren Charaktere sind zufallsgeneriert. Das mag den Widerspielwert erhöhen – es erschwert die Identifikation der und mit den Figuren aber erheblich. Ach, Katja und Georg konnten sich nicht leiden, deshalb besser nicht zusammen auf eine Mission schicken – oder waren es Katja und Siegfried? Auch hier hätte das Interface helfen können.
Erzählungen mit etwas Entscheidungsfreiheit
Die zweite Komponente – zumindest in der Kampagne, das freie Spiel kommt ohne sie aus – sind die „Visual Novel“-Passagen. Verschiedene Ereignisse der Periode werden hier aufbereitet – vom Reichstagsbrand bis zu einem Fliegeralarm, von einer Kriegsweihnacht mit überraschendem Besuch bis zu den Gräueltaten an der Ostfront.
Diese sind bis auf wenige Ausnahmen in der Mitte des Spiels sehr gelungen und sorgen für Momente mit langem Ausatmen. Ist das gerade wirklich passiert? Ist es wirklich möglich, das all das in so kurzer Zeit…? Sind Menschen wirklich dazu imstande…?
Die dunkelste aller denkbaren Zeiten scheinen die Synapsen zu überladen. Und damit gelingt dem Spiel, bei allen mechanischen Unzulänglichkeiten, sein Herzensanliegen voranzubringen.