21 Jahre später: eine erneute Huldigung der StarCraft-Kampagne

Spieltrieb

Der „fürs Arbeiten“ nötige Kauf eines kräftigeren Windows-Notebooks vor einiger Zeit hatte einen offensichtlichen Vorteil: Spiele für besagte Plattform waren nun deutlich einfacher verfügbar, der Ausredenvorrat weiter deutlich geschmolzen.

Und folglich griff ich wieder zu StarCraft. Zum Preis eines Kinobesuchs inklusive der Brood-War-Erweiterung, die ich, mein 14jähriges Ich lamentiert, mangels Finanzen dereinst nur vom Hörensehensagenlesen kannte.

Begriffe wie „Meilenstein“ oder „Meisterwerk“ sollten in Redaktionen von grimmigen Wächtern gehütet werden, die derartige Superlative nur nach ausführlichen Begründungen und unter viel mahnenden Worten rausrücken – doch hier wäre ein Fall dafür.

Mittlerweile bin ich durch die Kampagne durch und muss auch oder gerade mit zwei Jahrzehnten Abstand festhalten: die Kampagne des Hauptspiels ist ein erzählerisches wie spielerisches Meisterwerk.

(Es folgen offensichtlich Spoiler für StarCraft und Brood War.)

Das geht schon los dabei, dass die Terraner-Kampagne die dritte Rasse, die mystisch-psionischen Protoss, nur streift – in exakt einer Mission als Gegner, in einigen Briefings erwähnt als galaktisches Aufräumkommando, das dem Wüten der insektioiden Zerg hinterherputzt.

Ein Großteil der Menschen-Missionen sind Kämpfe gegen andere Terraner im Rahmen einer „die Revolution frisst ihre Kinder“-Geschichte. Inklusive einem Propaganda-Video als krönendem Abschluss. Das ist Science Fiction mit ihren typischen Themen, aber weder zu verkopft noch zu platt.

In eben dieser einen Terraner-gegen-Protoss-Mission wird die Basis letztlich von Zerg überrannt, die Heldin Sarah Kerrigan scheinbar dahingerafft.

Kerrigan, Agentin eines Geheimdienst-Programms, hatte in den vergangenen Einsätzen bereits davor gewarnt, mit den übernatürlichen Psi-Signalen Schindluder zu betreiben, doch der Protest fiel auf taube Ohren beim Revolutionsführer und künftigen Kaiser Arkturus Mengsk.

Animiertes GIF der letzten Momente von StarCraft Mission 9.
In der vorletzten Mission der Terraner sehen wir erstmals die Protoss als Gegner, bekommen aber den Auftrag, eine Zerg-Basis zu schonen. Sobald die Protoss besiegt sind, rennen die Zerg über die Basis her und Revolutionsführer Mengsk unterbindet eine Evakuierung – mit dramatischen Folgen. Sarah Kerrigan wird eingenommen und in der weiteren Geschichte zur Königin der Klingen für die Zerg.

In der Zerg-Kampagne dann der Perspektivwechsel: Drei Missionen lang redet der mächtigste Zerg-Zellhaufen, der Overmind, von einem Kokon mit wahnsinnig großartigem Inhalt. Eine Videosequenz führt Visionen aus dem Sci-Fi-Überraschungs-Ei vor.

Und das Ergebnis: eine mutierte Kerrigan als Heldin-Einheit, deren sich entwickelnde Fähigkeiten ein plausibles Amalgam aus Terraner-, Zerg- und Protoss-Elementen bilden. Ein gut vorbereiteter Moment für die Yoga-Pose mit dem Kinn am Boden.

Doch es geht weiter: Kerrigan trifft auf einen mysteriösen Protoss-Templer, verfolgt diesen, hochmütig Warnungen anderer Zerg-Wesen ignorierend – woraufhin eine Zerg-Brut unkontrollierbar wird und somit ein narrativ perfekt fügendes Motiv für eine Zerg-gegen-Zerg-Mission.

Die Kunst, das Schwierige leicht aussehen zu lassen

Am laufenden Band arbeitet die Kampagne im Hintergrund eine To-Do-Liste ab. Alle möglichen Fraktionen-Paarungen. Schrittweises Einführen immer stärkerer Einheiten und Konzepte wie Tarnungen oder Spezialfähigkeiten. Helden mit Charakter und erkennbaren Motiven. Und es tut das alles mit einer Eleganz und inneren Schlüssigkeit, die seinesgleichen sucht. Wie oft habe ich bei anderen Spielen zu deutlich gemerkt, was genau der Sinn dieser Mission für mich sein soll, das Bemühen um genau diesen Aspekt der Progression quasi mit den Händen greifen können.

Das heißt nicht, dass etwa ein C&C3, wenn es vollmundig brieft: „So, in dieser Mission hier endlich mal Mammut-Panzer zwinkerzwonker“, dann keinen Spaß macht, der Fortschritt nicht erkennbar ist und insgesamt seinen Sinn erfüllt. Aber es macht den Unterschied zwischen einer piekfeinen Pflichtübung aus und einer souveränen Virtuosität im Umgang mit dem Medium.

Noch ein Beispiel: Die dritte Fraktion des Spiels, Protoss, haben im Verhältnis recht fortgeschrittene und teure Einheiten. Das klassische Nach-und-nach-Einführen davon hieße, entweder zu seicht zu beginnen oder zu früh im Finale anzukommen. Wie löst StarCraft das Problem? Indem in der zweiten Mission, die mächtigen Räuber (von der PC Joker niedlicherweise Artillerie-Raupen genannt) als von einem Helden gesteuerte Spezialarmee zur Verfügung stehen.

Selbst eine Banalität wie die Missionsnamen und -ziele führen die Atmosphäre und Dramatik weiter. Die ersten Protoss-Missionen etwa handeln davon, den Templer Tassadar zu finden, dieser wiederum ist auf der Suche nach einem Dunklen Templer, macht immer wieder Andeutungen. Nachdem er in einer Mission zu einem Gebäudeeingang gebracht werden muss, heißt das Ziel im nächsten Einsatz: „Rettet Zeratul!“, die Mission selbst „In die Dunkelheit“.

Brood War: Wir können noch besser

Nahezu jede Mission lässt sich hierzu mit Lob überschütten, auch in der Erweiterung Brood War. Die erste Mission schließt unmittelbar an Tassadars Opferung an und lässt Heldeneinheiten über eine Karte laufen, während verstreut Zerg-Reste umherstreifen, mal angreifend, mal wirr, aber mit dem Atmosphäre-Bonus des weltenverändernden Ereignisses. Command & Conquer 3 Tiberium Wars schafft ähnliches in der München-Mission, und dazwischen liegen zehn Jahre!

Die bei den Terranern eingeführten Medics haben verschiedene Spezialfähigkeiten, die während einer Mission aktiv benutzt werden. Die von den Mainstream-Protoss verstoßenen Dunklen Templer, nur als seltene Spezialeinheit im Hauptspiel verfügbar, schließen sich angesichts der dramatischen Ereignisse nun wieder an und sind folglich als normale Einheit baubar.

Gleichzeitig sind die spielerischen Möglichkeiten in Brood War noch einmal ein ganzes Stück erweitert, die Terraner nochmal schlüssiger mit den neuen Medics im Felde und und und. Das fällt teilweise erst in der letzten Mission der ganzen Erweiterung auf, wenn bis dahin gekannte Strategien durch neue Einheiten-Kombinationen nicht mehr funktionieren. An jeder Stelle ist StarCraft ein Fraktal guten Designs.

Ich greife in die Selten-genutzte-Metaphern-Kiste und hole hervor:

Es gibt viele Sterne am Echtzeitstrategie-Himmel, aber wenige funkeln so hell wie StarCraft.

Petra Maueröder (heutige Fröhlich), im Testbericht in PC Games 05/98.

Soviel Lob für Uralt-Werke musste einmal sein. Und jetzt entschuldigen Sie bitte, es ist Zeit für mein Gicht-Mittel.

PS: Es gibt auch eine Folge von Stay Forever zu StarCraft, die anzuhören ich sehr empfehlen kann.

PPS: Auch sehr schön ist dieses Entwicklerblog zur allgemeinen Entstehungsgeschichte sowie zum legendären Wegfindungsproblem.

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