Der kommende Urnengang im Nordwesten des Landes ist eine Rarität: Zum ersten Mal seit 34 Jahren findet eine Landtagswahl unmittelbar nach einer Bundestagswahl statt. Seit der Wiedervereinigung war die bundesweite Umstimmung immer die letzte Wahl im Jahr, höchstens zeitgleich mit einer anderen Landtagswahl (Mecklenburg-Vorpommern 1998 und 2013, Schleswig-Holstein 2009).
Üblich ist eine Reihe von Landtagswahlen vor einer Bundestagswahl, aus welcher sich dann etwa Trends ablesen lassen, die dann bestätigt werden (Schulz-Zug in der Tat eher auf Draisinenniveau unterwegs) oder nicht (der Union gelingt kein furioses Comeback für Kohls letzte Amtszeit).
Nicht vergleichbar: Vergangene Beispiele von Unmittelbar-danach-Landtagswahlen
Vor 1990 fanden Bundestagswahlen nicht immer im Herbst statt, so dass häufiger danach noch weitere Abstimmungen anstanden. 1987 etwa wählten Hessen und Bremen zweieinhalb Monate nach der Januar-Wiederwahl Kohls. Und 1983 stand ein neuer Termin sogar nur eine Woche nach der bundesweiten Kampagne an.
Wirklich vergleichbar sind diese Szenarien jedoch nicht. 1983 war geprägt von einer Abstrafung der FDP für den „Verrat in Bonn“ – die Liberalen hatten die sozialliberale Koalition verlassen. Ihr nachhaltiges Branding als Umfaller sorgte noch lange Zeit für nach unten zeigende Säulen in der Gewinn-/Verlustrechnung.
Und 1987 waren eben doch schon acht Wochen vergangen und die bundesweite Situation nicht eben pures Adrenalin. Schwarz-gelb bestätigt, Rau wieder in der Kanzlei in Düsseldorf, schalt doch mal um, was im Zweiten so läuft. Für die ganz eifrige Recherche: 1949, 1953 und 1957 hat Hamburg jeweils kurz nach der Adenauer-Krönung gewählt, in jedem Fall waren aber landespolitische Themen entscheidend.
Ein Fall wie am kommenden Sonntag – im Prolog von Koalitionsverhandlung über eine Konstellation, die es auf Bundesebene bisher gar nicht und auf Landesebene für noch eine keine komplette Legislatur gegeben hat, ist hingegen ein komplettes Novum.
Auch nicht vergleichbar: Nachwahl in Dresden 2005
2005 fand für ein Teil der Bundestagswahl eine Nachwahl in Teilen Dresdens statt, weil eine Kandidatin der NPD verstorben war. Das Ergebnis der Nachwahl war jedoch von einfachem Opportunismus geprägt und ohne wirkliche taktische Finesse: CDU und FDP profitierten von einem extremen Stimmensplitting. Denn besonders viele Zweitstimmen für die Union hätten durch ein damals bestehendes Paradoxon im Wahlrecht dazu geführt, dass die CDU ein Mandat verloren hätte.
Das optimierte Abstimmen für Schwarz-Gelb-Fans einmal beiseite geschoben, lassen sich keine weiteren Besonderheiten feststellen. Ein besonders starkes SPD-Ergebnis, um vielleicht doch noch Schröder Kanzler bleiben zu lassen zu lasten von Grünen oder Linken? Nein. Ein besonders starkes Grünen-Ergebnis, um die Große Koalition im Zaum zu halten? Auch das nicht.
Es wird deutlich: Die Datenlage ist so dünn, für die braucht es ein Elektronenmikroskop. Beispiele für vierzehndimensionale Schachspiele mit Bundesratsmehrheiten und Bundestagskoalitionen gibt es keine. Das formale Argument, eine mögliche allzu bürgerliche Ausrichtung durch Jamaika mit einer SPD-geführten Regierung weiter im Zaum zu halten, dürfte diesen Sonntag kaum eine Rolle spielen. Dass regionale Faktoren ausschlaggebender sein werden, zeigte auch das deutlich hitzigere Fernsehduell.