Wer hinreichend Langzeitgedächtnis für politische Kuriositäten der Bundesrepublik reserviert, erinnert sich gut an den 23. September 2001. Bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg geschahen eine Reihe von Dingen der Kategorie „Hatten wir so auch noch nicht“:
- zum ersten Mal seit 44 Jahren ging aus der Wahl keine SPD-geführte Regierung hervor,
- die ein Jahr vorher gegründete Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO) gelang nicht nur der Einzug in die Bürgerschaft, sondern mit 19,4% auch das beste Erstmaliger-Einzug-Ergebnis einer Partei in Deutschland (kürzlich in Sachsen-Anhalt von der AfD überboten)
- die Partei zog nicht nur ins Parlament ein, sondern auch sogleich in die Regierung
- es folgten lange Debatten, ob mit der PRO (später einfach „Schill-Partei“) eine langfristige Kraft rechts der Union im Parteiensystem erwachsen könnte
Spoiler: Das ist nicht passiert. Die weiteren Geschehnisse der Partei sind unter Amüsement–Gesichtspunkten bemerkenswert, politisch sollte sich ihr Einfluss jedoch auf eine Legislatur in Hamburg beschränken.
Selbst in Sachsen-Anhalt, das der DVU 1998 zu einem Achtungserfolg verhalf, waren nur 4,5 Prozent der Stimmen drin, mit der PRO-Abspaltung R-P-B noch ein Zehntelpunkt mehr. In absoluten Stimmen: DVU 1998 – 192 352, PRO 2002 – 52 589, AfD 2016 -272 496. Das zeigt, das die Plattform des Richters wirklich wenig verfing.Trotzdem ist es interessant zu sehen, inwieweit zwischen den Ergebnissen der Schill-Partei dereinst und den jüngeren der AfD eine Korrelation besteht, gerade im Vergleich zur DVU-Korrelation. Sind die Ergebnisse der AfD eher vergleichbar mit denen einer offen rechtsradikalen Partei oder eben mit denen eines sich bürgerlich dünkenden Rechtspopulismus?
Wie auch beim vorherigen Beitrag zur DVU-Korrelation gelten für meine Analyse ein paar Restriktionen:
- Da sich der Wahlkreisschnitt in Sachsen-Anhalt in Zwischenzeit geändert hat, lassen sich nicht für alle Wahlkreise Vergleichswerte feststellen, für Halle und Magedeburg musste ich einen Querschnitt bilden.
- Die massive Diskrepanz in der Wahlbeteiligung ist gerade deshalb wichtig, weil es der AfD gelingt, aus dem Nichtwählerllager Stimmen zu gewinnen.
- Ich habe nicht untersucht, inwieweit Abspaltungen der R-P-B regional gewichtet sein könnten, ein kurzer Schulterblick ergab dafür aber keine Anhaltspunkte.
- Auch hier gilt: In vierzehn Jahren gibt es erhebliche demographische Veränderungen, sodass ich keinen Anspruch auf eine echte Längsschnittstudie stelle.
Doch auch der kurze Blick auf die Korrelation der Ergebnisse offenbart: Hui, da geht was. Die Korrelation der Schill- und AfD-Ergebnisse ist stärker (0,6 im Vergleich zu 0,5) und signifikanter als das bei der DVU der Fall war. Das spricht dafür, dass die AfD stärker noch das Wählerprofil der Schill-Partei als das der DVU anspricht. Und deutlich erfolgreicher ist.
Quelle für die Ergebnisse: Landeswahlleiterin Sachsen-Anhalt. Berechnungsdaten auf meinem OneDrive.
Offenlegung: Ich war von 2002 bis 2009 Mitglied der FDP. Ich bin seit 2009 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.