Hass!

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[Triggerwarnung: Antisemitismus, antisemitische Parolen.]

Kürzlich sah ich im Admiralspalast eine Aufführung des „Elisabeth“-Musicals. Das war erstaunlich gut – ich hatte im Vorfeld die Befürchtung gehegt, in der langen Zeit seit meinen letzten Besuchen Anfang der 2000er in Wien hätte das Stück etwas verloren. Das ganze „Ich gehör nur mir“, das Dreiecksverhältnis Elisabeth/Franz Josef/Tod – ist das nicht doch zu nah an Traumschiff?

Die rhetorische Frage verrät es: Nein. Denn tatsächlich finde ich diesen Teil der Geschichte mittlerweile weniger interessant (auch wenn einige Sachen echt schön gemacht sind). Was dafür noch stärker auftritt, ist der hohe Anteil an Liedern, die historische Entwicklungen aufzeigen. (Eine schöne Gesamtbesprechung zum Musical gibt es beim Kulturpöbel.)

Haß dem Rest der Welt!
Der Starke siegt, der Schwache fällt!

Auch wenn sie im Trailer nur ganz kurz und in den offiziellen Fotos gar nicht vorkommt: die Gesellschaft der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ist nicht einfach nur Kaiserinnenschmachtkulisse, sondern entwickelt sich im Wechselspiel mit den Aktionen der Protagonisten weiter. Das hat etwas vom Ende des dritten Zeitalters in Herr der Ringe, das sowohl Folge individueller als auch gruppenbezogener Entscheidungen ist. (Ich weiß gerade nicht, ob Elisabeths Autor das als Kompliment sähe.) Und von einer mehrdimensionalen Attraktivität für Zielgruppen mit verschiedensten Interessengebieten und eingebildeter/tatsächlicher Kultiviertheit, ähnlich wie die Simpsons. (Dito.) Und schließlich sogar von dem Dualismus aus chaotischen Einzelentscheidungen und narrativ angenehmen Langfristentwicklungen, welche Geschichte ist. (Jetzt aber!)

Haß und Gewalt denen, die nicht sind wie wir!
Und die sich breitmachen hier, jagt sie davon!

Das Musical nimmt sich eine beachtliche Reihe an sozialen Entwicklungen vor:

  • die untergehende Habsburger Dynastie,
  • die aufkeimenden Nationalstaaten im Vielvölkerreich Österreich(-Ungarn),
  • die Armut und Unterdrückung der unteren Gesellschaftsschicht,
  • den Strukturwandel der Öffentlichkeit durch das aufkommende Bürgertum und dessen Unzufriedenheit mit dem Neoabsolutismus,
  • die völkischen Bewegungen mit all ihren Hässlichkeiten.

Das „Hass“-Lied (hier auf Youtube, einbetten leider unterbunden) ist reich an historisch unheilschwangeren Symbolen, die Beflaggung ändert sich mit jeder Strophe und mündet schließlich in Beinahe-Hakenkreuzen, die Darsteller treten in Braunhemden auf und rufen „Sieg Heil“.

Michael Kunze selbst schreibt dazu:

„Überhaupt ist jedes Wort und jedes Symbol, das wir in der “Hass”-Szene verwenden, historisch. Das Aufkommen des Gedankenguts, das zu den Verbrechen des Nationalsozialismus führte, gehört zum Hintergrund unserer Geschichte.“

Mit Sozialisten und Pazifisten fackeln wir nicht mehr lang!
Die Judenschreiber, die Judenweiber sind unser Untergang!

Für ein mit so viel Sachertortenerwartungserhaltung versehenes Musical ist das verdammt mutig. Hier wird dem Publikum bewusst Unbequemes vorgesetzt, das den Gute-Laune-Abend erheblich stört. Hass ist zudem das einzige der Stücke, dass einen sehr bewussten Vorgriff ins zwanzigste Jahrhundert nimmt – im Gegensatz zur Darstellung des Ausgleichs mit Ungarn, in der nicht auf mögliche ähnliche Bestrebungen von Kroaten, Tschechen oder Slowaken hingewiesen wird.

Wer frühmorgens eine Nachrichtenseite oder den Twitterfeed aufmacht, muss nicht lange nach der Relevanz von Hass suchen. Ob eine Wahlverkampfveranstaltung von Donald Trump oder Abendspaziergänge in Sachsen: „aktueller denn je“ ist eine wahrlich abgegriffene Phrase, aber hier trifft sie vollkommen zu.

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