Zeitlich bedingt ist mein Ursprungsbeitrag zu den vergangen Wahlen in Hamburg leider nicht über ein Entwurfsstadium hinaus gekommen. Zur zweiten und letzten Wahl dieses Jahres hingegen möchte ich zumindest in Kurzfrom eine Übersicht geben, was auf Länder- wie Bundesebene zu erwarten ist.
Ehe Sie jetzt kübelweise Popcorn bereitstellen, eine kleine Spoiler-Warnung: Es wird unspektakulär.
Die Lage im Bund
Olaf Scholz hat bei der letzten Wahl zwar nicht das herausragende Ergebnis von 2011 wiederholen können und findet sich nun folglich in einer Rot-Grünen Koaltion wieder, am grundsätzlichen Zustand der Landesregierungen ändert das jedoch wenig:
- Die Union gewinnt weiter keine Regierungsbeteiligungen dazu und erlebt auf Landesebene eine Kaskade von Negativrekorden. Noch vor zehn Jahren holte sie in Hamburg eine absolute Mehrheit, jetzt ist das Resultat noch unter den Ergebnissen von Desaster-Wahlen wie Berlin 2001 oder NRW 2012.
- Auf Bundesebene kommt die SPD nicht aus den Mittzwanzigerregionen heraus, wohingegen sich im Bundesrat eine Wand an SPD-Regierungen zementiert.
- Die Grünen (Disclaimer: Ich bin Mitglied) bleiben auf unspektakulärem Niveau stabil.
- Die FDP konnte in Hamburg von einer klugen Kampagnenführung profitieren sowie von der Tatsache, dass sie sich deutlicher von der Union absetzen.
24 Stimmen im Bundesrat entfallen derzeit auf Länder, die ausschließlich von SPD und/oder Union regiert werden, statt vor Hamburg 28, so dass weiterhin eine Zusammenarbeit mit grün regierten Ländern erforderlich bleibt, um zustimmungspflichtige Gesetze durch die Länderkammer zu hieven. Sollte in Bremen tatsächlich eine SPD-Alleinregierung oder wie bis 2007 eine SPD-CDU-Koalition das Ruder übernehmen, wären es 27 Sitze, also keine entscheidende Veränderung.
Rot-Grün ist auf Bundesebene zwar unwahrscheinlich und mit 28 Stimmen (32 mit dem SSW-Bündnis aus Kiel) auch auf andere Länder angewiesen, Rot-rot-grün hingegen kann sich auf insgesamt 36 Stimmen (40 mit Schleswig-Holstein) stützen. Mehr kann es durch die kommende Wahl auch nicht werden, im rot-grünen Lager ist Bremen nunmal schon.
Die letzten Wahlen
Bremen ist auf den ersten Blick stabil sozialdemokratisch, selbst in bundesweit schlechter Stimmung etwa zu Zeiten Gerhard Schröders konnte die SPD deutlich die Regierungsverantwortung übernehmen. Auf den Rängen jedoch ist mehr Gerangel. So gehört Bremen zu den Ländern, in denen die DVU mehrere Male spukte; zudem stellt das Bremer Unikat „Bürger in Wut“ (BIW) einen Teil der Abgeordneten. Kleinparteien hilft zum einen die schiere Winzigkeit des Bundesland, zum Anderen das Wahlrecht, nachdem ein Überschreiten der Fünfprozenthürde in einem der Länderteile (also auch Bremerhaven) zum Einzug in die Bürgerschaft berechtigt.
Umfragen und Ausblick
Auch wenn die große Richtung der Wahl wenig Blutdruckanstieg verspricht, gibt es en detail etliche Aspekte, auf die angesichts der Umfragen speziell geachtet werden sollte:
- Die Grünen werden ihr sensationelles 2011er-Ergebnis sicherlich nicht erreichen, aber sollten zumindest deutlich über ihrem Bundestagswahlergebnis in Bremen (12%) ankommen, um den Eindruck einer langfristigen Krise entgegenzuwirken.
- Die FDP hat in Bremen eine Variante der Hamburger Katja-Suding-Kampagne probiert. Die Hansestadt ist nicht eben das norddeutsche Bollwerk des Liberalismus – ein Ergebnis deutlich über der Fünfprozenthürde, wie es die Umfragen voraussagen, könnte Christian Lindners Richtung langfristig bestärken.
- Auch wenn die CDU wohl etwas über den zwanzig Prozent der vergangenen Wahl ankommt: Bleibt sie in einer Stadt weiter fünfzehn Punkte hinter der SPD, dürften die Debatten über die fehlenden Optionen der Union im Bund wieder aufkommen.
- Umgekehrt ist jeder SPD-Sieg auf Landesebene eine Klageschrift gegen die Bundespartei und ihren 25-Prozent-Turm.
- Schließlich wird interessant, wie sehr sich BIW und AfD in die Quere kommen. Der moderate AfD-Flügel hat wenig Interesse an vielen Stimmen ehemaliger Wutbremer, während der reaktionäre Teil darin Bestätigung sehr dürfte.
Disclosure: Ich war von 2002 bis 2009 Mitglied der FDP. Ich bin seit Ende 2009 Mitglied der Grünen.
Ich finde deine Berichte vor den Wahlen sehr interessant. Wenn ich mich nicht irre, hast du erst jetzt den Disclaimer mit der Parteizugehörigkeit angebracht. Warum erst jetzt? Vielleicht liege ich da aber auch falsch. Sorry, wenn ich dir da was unterstelle…
Spannend finde ich aber auch, dass du zuerst FDP-Mitglied warst, und jetzt zu den Grünen gehörst. Was hat dich zum Wechsel bewogen?
Ich habe gerade gesucht und finde den ersten Treffer mit dem Wort Disclaimer im Jahre 2010, aber tatsächlich nicht regelmäßig. Zuweilen schreibe ich aber auch „Offenlegung“ oder „Disclosure“, von daher ist das kein guter Indikator. Eigentlich ein Problem, das ich mit einem Skript lösen sollte 😉
„Spannend finde ich aber auch, dass du zuerst FDP-Mitglied warst, und jetzt zu den Grünen gehörst.“ Ay, das ist eine komplexe Geschichte. Die Kurzfassung ist, dass ich die grundsätzliche Philosophie des Liberalismus nach DDP-Art sehr schätze, aber die Realität der FDP eine andere war. Und die Umwelt als Marktteilnehmer per se benachteiligt ist.