This War Of Mine

Spieltrieb

Die Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg sind heutzutage nichts, was von Medien ausgeblendet wird. Ob im historischen Kontext – die Verwüstung ganzer Landstriche im Dreißigjährigen Krieg, die dem Verstand unzugängliche Vernarbung Osteuropas im Zweiten Weltkrieges – oder gegenwärtig bei den Konflikten im Nahen Osten, die Auswirkungen eines Krieges auf Unbeteiligte ist allgegenwärtig, in Nachrichten wie in Filmen.

Das heißt nicht, dass hier kein Verbesserungspotenzial besteht und natürlich erst recht nicht, dass auf politischer Ebene adäquat vorgegangen wird; das Bewusstseinsproblem zieht sich dabei von mangelnden Versuchen, die Zivilbevölkerung zu schützen, bis zu ungenügendem Verständnis für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten.

Jedoch: Computerspiele mit realistischem Anlitz haben selten die Rolle der Zivilbevölkerung in Kriegen zum eigentlichen Thema. Viele Titel finden auf einem quasi-gesellschaftsfreiem Schachbrett statt. Andere stellen Zivilisten als bestenfalls dekorative Elemente dar. Selbst diejenigen, in denen Auswirkungen auf die Gesellschaft dargestellt werden, tun das nicht aus deren Perspektive, sondern aus der der umherstreifenden Soldaten. Der völlige Blickwinkelwechsel, den This War Of Mine vollzieht, ist zumindest nach meinem Wissensschatz ein Novum. Deswegen hatte ich mich seit dem Ankündigungstrailer auf das Spiel gefreut.

Das Gegenteil der Sims

Bereits in den ersten Spielminuten wird vielleicht etwas überraschend klar, dass TWOM nicht die Antithese zu Call of Duty ist, sondern zu den Sims, spielerisch wie narrativ. TWOM spielt in einer für lange Zeit umkämpfte Stadt ist mit wechselnden Frontlinien, aber konstantem Bedrohungsszenario im Hintergrund (angelehnt an Sarajevo), nicht einer rapide zusammenfallenden letzten Bastion, wie es etwa Berlin im Zweiten Weltkrieg gewesen wäre.

In dieser Stadt verhindern tagsüber Scharfschützen den Ausgang, deswegen gilt es innerhalb des Gebäudes währenddessen für Essen, bessere Ausstattung und Werkzeuge zu sorgen. Zu Spielbeginn bewohnt ein Trio (später auch ein Quartett, wenn neue Kombinationen freigeschaltet werden) das Haus, wobei die einzelnen Personen trotz Biographie-Karteikarte und Beschreibungseigenschaften („schneller Läufer“, „guter Koch“) recht blass bleiben. Diese Personen werden per Maus zu möglichen Handlungsorten im Haus geschickt, also etwa an die Tür, weil es geklopft hat, zur Werkbank, um Möbel, Geräte oder Teile herzustellen, oder auch ins Bett.

This War Of Mine - Das Haus

Das Spiel hinterlässt mit seiner reduzierten Farbpalette und gut eingesetzten Licht- und Soundeffekten einen starken Eindruck. Gespielt wird immer aus der Seitenansicht der Häuser. Hier im Bild sind die verschiedenen Tätigkeiten zu Beginn einer Behausung illustriert. Fortschritt für längere Aktionen wie das Wegschaffen eines Haufen Geröll oder Werkzeugproduktion werden in einem Kreis angezeigt.

Eine Währung gibt es nicht, alle Transaktionen im Spiel sind ein Tausch verschiedener Güter. Nahrungsmittel, Zigaretten, Werkzeuge und Waffen sind besonders gefragt, womit also der Einkauf von Rohmaterialien oder kaputten Teilen und der Verkauf von daraus gefertigten/reparierten Produkten ein lohnenswertes Unterfangen wird. Weitere Optimierungsmöglichkeiten bestehen zum Beispiel darin, dass sich fast alle „Produktionsstätten“ ein- oder zweimal aufwerten lassen, was Effizienz oder Produktionsvielfalt erhöht. Etliche Materialien wie Kraftstoff lassen sich aus verschiedenen Ursprungsstoffen gewinnen.

So entsteht insgesamt ein hinreichend tiefer Wirtschaftskreislauf mit vielen „Oh, das geht auch!“-Momenten, und es freut dann auch wirklich, zum Beispiel endlich alle offenen Wände der halb zerstörten Unterkunft vernagelt zu haben – was wiederum den Schutz vor Plünderern nachts erhöht.

Nichts ist möglich

Ganz oft jedoch ist nichts davon möglich. Keine Materialien, weil wir nachts nur etwas Schießpulver und ein bisschen Tabak gefunden haben. Die letzte Konservendose Essen leer, nichts in der Kleintierfalle. Kein Händler klopft an. Keine Medikamente, kein Verbandszeug für den kränkelnden Alten, der gestern angeklopft hat. Und der Winter kommt bald.

Es ist genau diese Mischung aus einem theoretisch angenehm vielfältigen Handlungsbaum und einer omnipresenten Leere, die die Kernbotschaft von TWOM in den Vordergrund stellt. Das Nichtstun, das Nichtshaben, das Nichtstunkönnen. Die Langeweile und Trauer der Figuren. Das Gegenteil der Sims’schen Wohlstandssimulation.

Das Spiel macht an den entscheidenden Stellen die richtigen Entscheidungen zwischen Spielbarkeit und seiner Botschaft. Es gibt kein in vielen Aufbauspielen gängigen Zurück-Button bei Fehlkäufen, kein freies Speichern – nur ein Fortsetzen oder Neubeginn im Hauptmenü. Fehlentscheidungen können so innerhalb von einem Spieltag eine gut funktionierende Hausgemeinschaft ruinieren. Gleichzeitig verzichtet TWOM auf nervige, aber im Kern unwichtige Elemente wie die Simulation von Harndrang.

Ist TWOM tagsüber primär ein ökonomisches Überlebensspiel, erweitert es sich nachts um Schleich-, Kampf- und mehr Handelskomponenten. Bricht der Abend an, bietet das Spiel eine Übersicht möglicher Orte ums Haus, die sich zu Erkunden lohnt, insofern Witterung und Kampfhandlungen dem nicht entgegenstehen. Der Marktplatz, auf dem immer noch viel gehandelt wird? Das abgebrochene Luxusbauprojekt, wo es aber außer etwas Material nicht viel zu holen gibt? Der von Banden heimgesuchte, aber lukrative Supermarkt? Für die Touren ist ortsabhängig verschiedenes Equipment nötig – Brecheisen, Dietriche -, auch über Waffen oder Gegenstände zum Tauschen muss angesichts des knappen Rucksackplatzes sorgsam gegrübelt werden.

Hier zeigt sich die einzige größere Schwäche des Spiels, die sich nicht mit dem Szenario entschuldigen lässt: Das Interface könnte mitunter deutlich mehr Informationen preisgeben. Vor einem Handel wäre es gut zu wissen, welche Teile genau wir daheim noch benötigen – was ohne Abgleich mit dem heimischen Inventar mühsames Aufschreiben tagsüber erfordert. Wenn Orte bereits erkundet sind, könnte angezeigt werden, ob Sägeblatt oder Schaufel erforderlich sein werden. So ist TWOM an einigen Stellen unnötig altbacken.

Kein Call of Duty mit zivil angezogenen Soldaten

Eine andere Schwäche wiederum ist das Kernanliegen des Titels: Kommt es zum Kampf, haben die eigenen Figuren meist keine sonderlich guten Karten, auch macht das rhythmische Klicken auf das Kampf-Icon über Angreifern nicht wirklich Spaß. Verschiedene Bewaffnungen von Faust über Messer bis zu Pistole sind möglich. Meist ist klüger, Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, anstatt den Zivilistenrambo zu geben.

This War Of Mine Nacht

Nachts bewegt sich eine ausgewählte Figur in einem mehr oder weniger gefährlichen Ort auf der Suche nach Irgendetwas verwertbaren. Zu Beginn ist die Auswahl lukrativer Plätze noch da, später wird Schleichen, Handeln oder gar Stehlen und Kämpfen unausweichlich. Sichtkegel visualiseren, welche Zimmer der Charakter im Blick hat, rote Kreise deuten Geräusche hin. In dem Fall war es glücklicherweise nur eine Maus.

Ebenfalls gut gelöst: Oft führen die Touren moralische Probleme ein. Ist es akzeptabel, zu stehlen, wenn alle daheim seit Tagen nichts gegessen haben? Was ist mit Medikamenten aus dem Kindertrakt eines Krankenhauses? Zudem finden sich vor Ort Zeitzeugnisse wie Flugblätter, Familienporträts oder Arztberichte.

Es wäre absurd, zu behaupten, This War Of Mine würde einen wirklich erleben lassen, wie sich das Leben als Zivilist in einer umkämpften Stadt zu Kriegszeiten anfühlt. Aber es bringt näher, was die ökonomischen und moralischen Schwierigkeiten sind. Klopft jemand an die Tür und bittet um Obdach, ist das eben nicht „Noch ein Kämpfer für die Party“ wie im Fantasy-Rollenspiel, sondern in erster Linie noch ein zu fütternder Mund, ein zu bettender Körper.

Und doch: natürlich darfst du bei uns einziehen.

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