Landtagswahlen 2012 – ein Rückblick

Politik

Dieses Jahr habe ich mit der Tradition brechen müssen, vor jeder Landtagswahl zumindest einen kurzen Überblick über die Umfragensituation und mögliche Wahlausgänge zu geben. Zumindest für ein kleines Resumé ist aber doch Platz und Zeit, um die Auswirkungen der Wahlen 2012 zu sprechen. Derer gab es drei, allesamt im ersten Halbjahr, und allesamt in Flächenstaaten der alten Bundesländer, namentlich

  • Saarland.
  • Schleswig-Holstein und
  • Nordhrein-Westfalen.

Keine einzige dieser Wahlen war eine Folge des regulären 5-Jahres-Turnus. Zu weiteren Wahlen 2012 – zum Beispiel in Duisburg – gibt es auch bei wahlrecht.de eine schöne Übersicht.

Bundesrat  2012

Stimmengetreue Darstellung des Bundesrats derzeit – einmal mit den jeweiligen Bundesländern in ihrer groben geographischen Anordnung (links), wobei jedes Kästchen eine Stimme entsprechend der Koalition markiert, und einmal im typischen Halbkreisdiagramm.

Saarland: Ende eines Experiments, aber keine Lagerverschiebung

Im Saarland hatte Peter Müllers Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Wahl eingeleitet, indem sie passend zum Dreikönigstreffen der FDP die so genannte Jamaika-Koalition aufkündigte und sich keine wirklich fruchtbaren Koalitionsverhandlungen mit der SPD ergaben.

Das Ergebnis spiegelte in Teilen republik-weite, in Teilen regionale Trends:

Diagramm der letzten Wahlen im Saarland.

Diagramm der letzten Wahlen im Saarland.

  • Für die FDP war das Ergebnis das desaströseste seit der Ära Wolfgang Gerhardt: siebtstärkste Partei nach der Familienpartei und keine 300 Stimmen vor der NPD.
  • Die im Saarland Skandal-geschüttelten Grünen verloren erstmals seit 2008 bei einer Landtagswahl an Stimmen und lagen nur wenige hundert Stimmen entfernt davon, aus dem Landtag ausziehen zu müssen.
  • Die Linke, 2009 in Rufweite zur SPD gelangt, verlor ein Viertel ihrer Stimmen in Lafontaines politischer Heimat
  • Die SPD wurde zwar bei Weitem nicht stärkste Partei, konnte aber einen deutlichen Zuspruch verzeichnen.
  • Die Piraten konnten an ihr hervorragendes Ergebnis der Berliner Abgeordnetenhauswahl anknüpfen (siehe: ).
  • Die CDU blieb weitestgehend stabil.

So spannend der Wahlabend insgesamt war und so bemerkenswert Einzelresultate sein mögen, im Ergebnis ändert sich aus Bundesratsperspektive kaum etwas. Die Große Koalition ist sowohl aus Sicht der derzeitigen Bundesregierung wie auch aller plausiblen Alternativkoalitionen schlichtweg im Neutralen Lager.

Schleswig-Holstein: Es gelingt, was 2005 scheiterte.

2005 nahmen SPD, Grüne und der Süd-Schleswig’sche Wählerbund (SSW) einen ersten Anlauf für ein Dreierbündnis (Schleswig-Holstein-Ampel oder Dänen-Ampel gennant), was in nicht weniger als vier Wahlgängen scheiterte und das Ende der politischen Karriere von Ministerpräsidentin Heide Simonis bedeutete. 2009 fand nach einer velorenen Vertrauensfrage die erste vorgezogene Landtagswahl zeitgleich mit der Bundestagswahl statt, so dass für die SPD schlechte Bundes- wie Landestendenzen in einem katastrophalen Ergebnis und für das Land einer schwarz-gelben Regierung im nördlichsten Bundesland mündeten, geholfen von einem Nichtausgleich der CDU-Überhangmandate. Das Landesverfassungsgericht gab einer Klage von Grünen, SSW und Linken statt und erklärte das Wahlrecht für verfassungswidrig, woraufhin Neuwahlen angesetzt wurden mit einigen erwartbaren, einigen überraschenden Ergebnissen:

Diagramm: Die letzten Wahlen in Schleswig-Holstein.

Diagramm: Die letzten Wahlen in Schleswig-Holstein.

  • Minimale Verluste für die Union, allerdings auf Basis eines 10-Punkte-Verlustes 2009
  • Ordentliche Zugewinne für die SPD, wenngleich sie wie auch im Saarland hinter der CDU blieb und weitab von früheren Heide-Simonis-Wahlergebnissen
  • Die Grünen stabilisierten sich auf gutem Niveau
  • Die FDP verlor zwar fast sieben Prozentpunkte, dies allerdings auf Basis des traumhaften 2009er-Resultates. Absolut gesehen reichte es für deutlich über acht Prozent der Wählerstimmen, die der sich deutlich von der Bundespartei absetzende Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki einfuhr
  • Die Piraten wurden mit 51 Stimmen nach der FDP fünftstärkste Kraft und setzten ihre Erfolgsserie fort
  • Leichte Zugewinne für den von der Fünfprozenthürde ausgenommenen SSW
  • Die Linke verlor zwei Drittel ihrer Stimmen und gelang damit wieder in Sphären, welche die ehemalige PDS in westdeutschen Bundesländern erzielte

SPD und CDU gleichauf nach Sitzen, jedoch keine Mehrheit für die klassischen Zwei-Parteien-Koalitionen: Es kam also nur eine Große Koalition oder ein Dreierbündnis in Frage. Genau das passierte auch: der SSW bildete eine Koalitionsregierung. Diese Konstellation ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik und stellt die einzige Lagerverschiebung 2011 dar: Aus Sicht der jetzigen Bundesregierung ist Schleswig-Holstein damit klar in der Opposition. Eine mögliche Große Koalition auf Bundesebene sähe das Land im neutralen Lager, ein rot-grüner Kanzler Steinbrück wohl im eigenen Stimmblock.

NRW: CDU und FDP gegen ihre Trends

Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen haben aufgrund der schieren Dimension des Landes, dass ähnlich viele Einwohner hat wie alle neuen Bundesländer zusammen, eine enorme Bedeutung für die jeweiligen Parteien. Dementsprechend viele politische Größen kommen auch aus dem Nordwesten – so zum Beispiel der derzeitige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, dessen Niederlage als Ministerpräsident vor sieben Jahren zu Neuwahlen auf Bundesebene führte.

Diagramm: Die letzten Wahlen in NRW.

Diagramm: Die letzten Wahlen in NRW.

Die Neuwahlen in NRW, nötig geworden nach einem nicht beschlossenen Haushalt, hatten ebenfalls einige Auswirkungen auf die Bundespolitik:

  • die Union, in den anderen Ländern und im Bundestrend stabil bis aufbauend, verlor mehr als acht Prozentpunkte auf Basis ihres bisher bereits schlechtesten Ergebnis bei einer Landtagswahl in NRW. Knapp über 26% stellt auch eines der schlechtesten Ergebnisse in einem westdeutschen Flächenland überhaupt dar.
  • die SPD gewann einige Punkte hinzu und rückte in greifbare Nähe zur 40%-Marke, ein in Zeiten der generell schwächelnden Volksparteien und insbesondere der chronischen SPD-Malaise mehr als respektables Ergebnis, das auch die bundespolitische Bedeutung von Hannelore Kraft nach 2013 prägen könnte
  • Die Grünen verloren leicht von ihrem bisherigen Rekordniveau
  • Ähnlich wie in Schleswig-Holstein gelang es der FDP, sich vom Bundestrend abzusetzen, an Stimmen zulegen und den Wiedereinzug in Landtag sichern
  • Auch die Piraten etablierten sich wieder als fünfstärkste Kraft mit beinahe acht Prozent.
  • Wie schon in Schleswig-Holstein, verlor die Linke auch wieder mehr als die Hälfte ihrer Stimmen und erlangte keine drei Prozent.

An der Koalitionsarithmetik ändert das Ergebnis wenig, allerdings bestätigte das Ergebnis die rot-grüne Koalition im eben als so wichtig erachteten bevölkerungsreichsten Bundesland. Und: CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen wurde wenige Tage später von seinem Amt als Bundesumweltminister entlassen.

Zusammenfassung

Die zeitliche Entfernung der Wahlen helfen einerseits dabei, ihre Bedeutung in die langfristige Entwicklung einzuordnen, tragen aber auch dazu bei, ihre jeweilige Bedeutung etwas zu vernachlässigen. Schließlich zeigten die Wahlen eindrucksvoll in ihren Gemeinsamkeiten wie Unterschiede, wo regionale, wo nationale Trends liegen.

  • Die SPD ist weiter auf einem vorsichtigen Weg nach oben. 2012 gewann sie einen Ministerpräsidentenposten und konnte eine rot-grüne Minderheitsregierung in ein Bündnis mit eigener Mehrheit umwandeln.
  • Die Union war insgesamt stabil, wenn auch keineswegs auf dem Niveau der bundesweiten Oppositionszeiten. Sowohl im Saarland als auch in Schleswig-Holstein waren die jeweils vorherigen Wahlen besonders verlustreich. Dem lässt sich insgesamt eine stabile Lage attestieren, wobei der enorme NRW-Ausfall einer schwachen Kampagne gegen eine starke Ministerpräsidentin geschuldet ist.
  • Geringe Oszilliationen verzeichneten auch die Grünen, wo die besondere Saarland-Schwankung regional zu suchen ist.
  • Für die FDP kam im Saarland der katastrophale Bundestrend mit regionalen Schwierigkeiten zusammen. Wo sich Landesparteien von der Bundespartei absetzen können und ggf. von einer schwachen Union profitieren, kann die FDP sich behaupten.
  • Die Piraten setzten ihre Erfolgsserie fort. Hier wird 2013 besonders interessant: Die vier so erfolgreichen Wahlen für die Nautikvokabularversuchung waren innerhalb eines guten halben Jahres, die Zeit danach weniger geprägt von einer Bewunderung des Phänomens und mehr von einer Betrachtung der tatsächlichen Arbeits- und Verhaltensweise der Partei.
  • Und: für die Linke war 2012 schlichtweg bitter, ihr droht das Schicksal der einstigen PDS als ostdeutsche Regionalpartei mit bestenfalls einigen Verwurzelungen im Saarland oder den Stadtstaaten.

Im Bundesrat fallen nun vier weitere Stimmen solide ins Oppositionslager. 26 Stimmen zählen Regierungen aus SPD, Grünen und SSW zusammen in der Länderkammer. Das ist bei Weitem nicht genug für die Mehrheit von 35, selbst wenn sich eine hypothetische rot-grüne Regierung die Brandenburger Koalition ebenfalls gut stellen könnte. Aber ist doch eine bessere Ausgangsposition als die derzeitige Bundesregierung sie hat.

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