Ein halbes Jahr University of Liverpool: Ein Ächzen und ein „Ach“

Fortbildung

Wer diesen Blog regelmäßig verfolgt (oder wer nun einfach mal einen Blick in das nach Monaten gruppierte Archiv in der Seitenleiste wirft), dem fällt auf: In letzter Zeit ganz schön ruhig hier! Zum ersten Mal seit drei Jahren habe ich vor Landtagswahlen nicht einmal das Minimalprogramm aus Umfragen- und Vergangenheitsentwicklung gebracht. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Das Fernstudium an der UoL (Ziel: MSc in Software Engineering) ist, freundlich formuliert, intensiv. Der Curriculum nimmt auf Feiertage keine Rücksicht, zwischen Modulen habe ich je maximal eine Woche (weil sonst immer ein ganzer Monat weg wäre), und das Staccato der verpflichtenden wöchentlichen Abgaben bleibt unermüdlich. Zur Auffrischung:

  • Am Donnerstag geht die Woche los, mit ca. 13 Word- respektive PDF-Seiten Stoffzusammenfassung + 30-50 Seiten im jeweiligen Fachbuch zum Thema, nebst optionalen (und meist auch wirklich als solches betrachteten) Artikeln und Links
  • Am Samstag (ein Tutor akzeptiert auch ohne Punktabzug Sonntag) zwei Beiträge mit einem Mindestumfang von 500 Wörtern (für die höchsten Noten eher das doppelte bei einigen TutorInnen, andere achten recht genau auf die Wortobergrenze) zu Themen, die mittelbar mit dem jeweiligen wöchentlichen Schwerpunkten zusammenhängen, und entweder einen eher technischen oder einen eher sozialwissenschaftlichen Einschlag haben.
  • Im Verlaufe der Woche mindestens sechs (für die höchsten Noten bitte lieber zehn) Beiträge, um im Forum die Posts der anderen zu diskutieren. Hier sollte man bei 200 Wörtern anfangen und die Diskussion „substanziell“ voranbringen
  • Am Wochenende ein Assignment, das je nach Kurs eher Essay oder eher Programmieraufgabe (mit Dokumentation) ist
  • Bonus: Zwei meiner bisherigen Kurse hatten zudem noch Gruppenprojekte mit Abgaben (im jüngsten Falle fünf davon), ebenfalls spätestens am Mittwoch und inklusive eigener Foren.

Ich gehe gleich en detail auf die einzelnen Aspekte ein, aber alleine diese Aufzählung sollte klar machen: Ponyhöfe sind woanders. Das ist einerseits gut, weil es keine Frage daran lässt, dass hier ein wirklich mit Fachwissen und dessen Anwendung vollgestopftes Programm auf einen zukommt, gleich dem graubärtigen Präsenzstudienprofessor, der nur in sich hinein lächelt, wenn ein Student das Vorlesungstempo als zu schnell empfindet. Es ist gut, weil es überhaupt keine Wahl lässt, man muss sich zwangsläufig mit jedem Thema auch wirklich intensiv auseinandersetzen und kann nicht strategisch für die Assignments lernen wie teilweise bei der Open University.

Nachteile hat das aber auch: Offensichtlich ist die enorme Anforderung an das eigene Konzentrationsvermögen, an Planung, Selbstdisziplin (wobei ich hier die regelmäßigen Deadlines hilfreich finde), an Verständnis im privaten Umfeld. Ich behaupte, nach drei Jahren Open University, teilweise mit etlichen Kursen gleichzeitig, durchaus fit im Fernstudieren zu sein – aber dennoch atmete ich letzte Woche, am Ende meines dritten Kurses, wirklich einmal tief durch.

Neben diesem trivialen Nachteil, der bei einem Master-Studiengang in Vollzeit doch niemanden wirklich überraschen sollte, wiegt für mich schwerer: Das Austauschen im Forum anhand der Frequenz zu evaluieren, ist für mich eine Idee der Kategorie „gut gemeint“ – denn bei rund zwölf Eleven im Kurs führt das unweigerlich zu einer mitunter kurzatmigen Dauerbeschallung statt zu langen Diskussionen. Diese gibt es, keine Frage! Ich habe einige neue Erkenntnisse gewonnen – aber es könnten glaube ich absolut und insbesondere anteilig mehr sein, wenn die Thread-Regeln darauf den Schwerpunkt legen würden.

Die Tutoren: Immer da, nicht immer aufmerksam

In jedem Kurs mit ungefähr zwölf bis 15 Leuten ist ein Tutor verantwortlich, am Ende der Woche diese ganzen Arbeiten zu bewerten, für die anfänglichen Gruppenbeiträge und das Endprodukt unterstützt von TurnitIn. Bewertungen sind zuverlässig Freitagnachmittag, spätestens Samstag im Postfach, was natürlich auch Sinn ergibt, will man das Feedback als Studierender auch wirklich berücksichtigen. Angesichts der schieren Masse dessen, was die einzelnen Teilnehmer produzieren müssen, ist es völlig illusorisch, davon auszugehen, dass jeder Forenbeitrag gelesen und jede Einreichung wirklich kritisch beäugt werden kann.

Ich denke auch nicht, dass – gerade angesichts des Zyklus der UoL – absolute Detail-Feedbacks wie bei der Open University mit ihren langen Anmerkungen nötig sind. Es soll ja eher darum gehen, darin zu bestehen, sich wöchentlich neu und umfassend mit Themen auseinanderzusetzen. Natürlich: Offensichtliche Fehler bei den Programmierangaben werden nach dem, was andere Forenteilnehmer geschrieben haben (ja, ich hatte tatsächlich bisher keine Abzüge 😉 ), erkannt. Sonst hingegen beschränkt sich das Feedback oft auf Formalien und Satzbausteine, zudem gehen mitunter auch einige besondere Bemühungen der eigenen Arbeit unbemerkt darin unter.  Eine Tutorin füllte ihre Feedback-Mails immer mit Copy&Paste aus einem als exemplarisch herausgestellten Forenbeitrag – das war doch etwas zu viel des Guten.

Die Bewertung selbst lässt erkennen, dass es keine Geschenke zu verteilen gibt, ist aber auch nicht übermäßig hart. Wer alle formalen Vorgaben leicht übererfüllt und gewissenhaft arbeitet, kann sich der „A“-Benotung ziemlich sicher sein. Lediglich das optionale „A*“ scheint mir nicht immer ganz nachvollziehbar, einige nach meiner Auffassung durchaus besondere Einsendungen blieben unbeachtet, andere waren aus meiner Sicht eher gewöhnlich, bekamen aber das Sternchen.

Insgesamt bleibt der Sinn der Bewertungen (und auch der wöchentlichen Übungen) damit hinter dem möglichen Maximum zurück: Weder wird jede Gelegenheit genutzt, um den Studierenden zu motivieren und für besonders gute Ideen zu loben, noch ist nicht-formale Kritik immer besonders gut erkennbar. Wie gesagt, die tolstoiesken Ausführungen mancher Open-University-Tutoren wären sicher nicht realistisch und auch für die Studierenden nicht handhabbar in der Kürze, aber das zeitweilige latente Gefühl des „Abfrühstückens“  ließe sich sicher beheben.

Ein uneingeschränktes Lob jedoch: Wirklich jede Frage wurde bisher innerhalb von 24 Stunden kompetent beantwortet. Ob Tutor oder Student Support Manager, sie alle sind wirklich da – und würden sicher auch bei detaillierteren Nachfragen zu der Bewertung helfen. (Ich gehe an dieser Stelle auch einmal davon aus, dass in anderen Benotungsgefilden ggf. mehr Feedback erforderlich ist und auch gegeben wird.)

Kursinhalte: Update teilweise erbeten

Die wöchentlichen Übungen bringen mich zum zweiten wesentlichen Aspekt: Den Kursinhalten, die innerhalb der jeweiligen Module großartig ineinander verzahnt sind, sodass die Verbindungen deutlich und auch die Neugier auf die nächste Woche geweckt werden. Bis jetzt habe ich neben den Einführungsveranstaltungen drei Module  hinter mir: Computer Structures, Social Issues und Programming the Internet. Letzteres wird gerade modernisiert (der Teil der ersten Wochen schien mir auch ein wenig neuer, wenn auch fern von brandaktuell), insofern ist der Zeitpunkt für dieses Review vielleicht einfach ungünstig; allerdings sollte die Zeitspanne seit der letzten Iteration niemals so groß werden, dass es in diesem Maße auffällt:

  • Das empfohlene Buch, eigentlich ein sehr gutes, aber eben in einer alten Edition, empfiehlt noch Internet Explorer 7 und Firefox 2.
  • Als Datenbank wird Access 2003 (nein, das ist kein Lesefehler) vorgeschrieben.
  • Der empfohlene PHP-Code setzt auf Funktionen (zum Beispiel bei regulären Ausdrücken), die mittlerweile in der Spracharchitektur Auslaufmodelle sind und folglich bei der Benutzung Warnhinweise erzeugen

Richtig: Eine Universitätsausbildung ist weniger als etwa ein themenspezifisches Seminar oder ein Workshop auf konkrete Techniken aus, sondern soll ja eher grundsätzliche Herangehensweisen, Fähigkeiten und Methoden vermitteln, eine Art intellektuellen Überbau schaffen. Das kann jedoch nicht die Begründung dafür sein, komplett veraltetes Material zu benutzen, dessen Verwendung im echten Leben wenig praktikabel und im schlimmsten Fall sogar schädlich wäre. Gerade dieser Kurs wird im Subtext öfters als einer der wichtigsten (und schwierigsten) herausgestellt – dafür ist das Gebotene schlichtweg unwürdig, auch wenn es rein strukturell sinnvoll aufgebaut ist und somit gut sein könnte.

Hinzu kommen einige Merkwürdigkeiten im System: Errata in den wöchentlichen Lecture Notes kann der Tutor nicht selbst korrigieren, sondern nur deren Korrektur beantragen. Der bereitgestellte Code selbst schwankt in der Qualität auch erheblich, von trivialen, aber stetig wiederholten Rechtschreibfehlern bis zu nicht geschlossenen HTML-Tags.

Die Übungen, von denen ich vorhin sprach, könnten beim Code-Teil etwas mehr Abwechslung zeigen, illustrieren jedoch die jeweils in der Woche behandelten Fragestellungen sauber und taugen definitiv gut. Eine Besonderheit jedoch wiesen zwei meiner Kurse bisher auf: Gruppenprojekte.

Streitfrage Gruppenprojekte

Ich verstehe den Gedankengang ja gut. Teamfähigkeit ist wichtig, Kollaboration ist wichtig, die Studierenden sollen nicht vereinsamen, alles fein. Aber: Ein Fernstudium wird, zumindest unterstelle ich das, von den meisten ja nicht gewählt, weil sie Misanthropen sind, sondern weil sie aus zeitlichen oder logistischen Gründen diese Form am besten mit ihrem Lebenswandel vereinbaren können. Ich habe das Präsenzstudium geliebt – aber mein Leben ist derzeit exakt auf meine Solo-Lernzeiten im Zug oder auch mal in der Mittagspause eingerichtet, online und offline sind entsprechend abgestimmt, ich komme damit sehr gut klar, und würde unterstellen, dass es vielen anderen Fernstudierenden ähnlich geht. Wenn sich ein Zug verschiebt, ich eine Reise unternehme – all das lässt sich darin perfekt einplanen, solange ich nur in der Nähe der Abgabetermine einen Internetzugang habe.

Ein Gruppenprojekt, das zu regelmäßigen Abgaben auf ausführliche interne Kommunikation, teilweise sogar mit synchronen Kommunikationsformen (Skype, Chats) setzt, wirft all das über den Haufen. Fünf Menschen, in verschiedenen Zeitzonen, die sich nicht kennen, und durchaus komplexe Projekte wie die Entwicklung einer datenbankgetriebenen Website in wenigen Wochen mit einem beschränkten Toolset (ohne Tracker oder Versionierungen) vornehmen müssen: Was gerade vor Ihrem geistigen Auge abläuft, ist nur eine ungefähre Ahnung des zwangsläufigen Chaos, das sich ergibt. Verzweifelte Teilnehmer auf der Suche nach Rückantwort, natürlich zuhauf überschriebene Dateien – so sehr sich Gruppenteilnehmer auch bemühen, mithilfe der bescheidenen Mittel (wie dem Forum) dagegen und entgegen ihrer normalen zeitlichen Planung anzukommunizieren, so hoch sind die Hürden dafür.

In einem anderen Kurs war das Gruppenprojekt signifikant kleiner und ließ sich auch entsprechend leichter aufteilen – eine Präsentation mit Vor- und Nachteilen quasi als Tischvorlage für zum Beispiel einen Vorstand. Die Zusammenfügung der Präsentationen war vergleichsweise einfach, obwohl an diesem Projekt deutlicher wurde, dass unterschiedliche Gruppenmitglieder natürlich auch eigene Qualitätsansprüche haben und dann durchaus signifikante Weiterbearbeitung nötig ist.

Offensichtlich wird: Meine Begeisterung für Gruppenprojekte hält sich in Grenzen. Im Präsenzstudium mochte ich etliche Gruppenprojekte durchaus. Aber selbst wenn nahezu alle der angesprochenen Probleme nicht aufträten: Der Mehrwert eines Gruppenprojektes lässt sich in dieser logistischen Konfiguration, mit den vorhandenen Tools einfach nicht optimal abbilden. Gewiss, wir haben nach Leibeskräften Zuständigkeiten aufgeteilt, Verantwortlichkeiten geklärt – aber der hierfür nötige Aufwand und die entstehende Friktion steht in keinem Verhältnis.

Fazit: Ein forderndes Gesamtwerk mit Macken

Es wird deutlich, dass ich einige Probleme mit der Organisation der UoL-Kurse sehe. Wie ist es bei Texten dieser Art üblich ist, widme ich der Kontextualisierung dieser Schwächen mehr Platz, als dem Lobpreisen von Dingen, die gut sind und prima funktionieren. Vielleicht sogar so gut, dass sie gar nicht auffallen. Denn: Die Betreuung im Kurs und zwischendurch ist wirklich perfekt, die anderen Kursteilnehmer eine wirkliche Bereicherung und die eigentlichen Inhalte, abgesehen von Aktualitätsproblemen in den praxisbezogenen Teilen, dicht, intensiv, relevant.

Am Ende eines Kurses gibt es ein wirklich intensives „Geschafft“-Erlebnis, und weil ein so großer Teil auf der texlichen oder codelichen Produktion und Anwendung liegt, nicht auf Auswendiglernen, bleiben die gewonnenen Erkenntnisse subjektiv auch sehr stark haften. Ich bereue zu keinem Zeitpunkt, das Studium angefangen zu haben, sehe den Modulen mit Freude entgegen – würde mir aber wünschen, dass die UoL respektive Laureate an sich selber einen ähnlich hohen Standard anlegen, wie das von Studierenden erwartet wird, die für Formalien durchaus eklatante Punktabzüge erhalten.

2 Replies to “Ein halbes Jahr University of Liverpool: Ein Ächzen und ein „Ach“”

  1. Sonja sagt:

    Jo, das hört sich schon beim Lesen stressig an. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das System ist nichts für mich.

    Trotzdem freue ich mich über jeden Beitrag von dir, wenn das Studium das dann mal wieder zulässt. 😉

  2. Matze sagt:

    Fange jetzt im Januar den MSc Project Management oil and gas an.
    Bin sehr gespannt drauf. Nach deinen ausfuehrungen hier habe ich zwar nicht weniger bammel davor, weiss aber schon ein wenig mehr was mich erwarten koennte. Auch wenn es ein koplett andere Studiengang ist, wird das Lernvolumen ja aehnlich sein.
    Wuensche dir weiterhin viel Erfolg!

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