Nachdem nun endlich der (überraschend gute) Honours-BA der Open University im Kasten ist, habe ich mich im letzten Monat voll und ganz auf das Master-Studium an der University of Liverpool gestürzt (das Fernstudium läuft über Laureate International Universities). Grundsätzlich können meine bisherigen Beobachtungen weniger fachlicher als primär methodischer respektive administrativer Natur sein, aber auch hierbei tun sich einige interessante Unterschiede zur Open University auf.
Im Vergleich sind die Kollegen aus Milton Keynes regelrecht papierverliebt. Ich habe bis jetzt noch keinen einzigen Brief bekommen, keine Zahlungsbestätigung, keine Immatrikulationsbeschreibung, keine Kursunterlagen, keine Image-Broschüre, kein Flyer des Studentenwerk-Äquivalentes. Es würde mich nicht wundern, wenn selbst das Master-Zertifikat als PDF-Attachment ankommt. Auch wenn die Open University keineswegs viele Sendungen verschickt hat (und im Zuge der Sparmaßnahmen ja immer weiter eindämmt), so ist das Duo Liverpool/Laureate doch bemerkenswert konsequent. Die schreiben „Online Degree“, die meinen es!
Einführung und Betreuung: Geradezu fürsorglich
Das heißt jedoch keineswegs, dass Betreuung klein geschrieben wird, im Gegenteil. Meine gegenwärtigen Ansprechpartner sind ein Enrolment Advisor, ein Student Support Advisor, technische Assistenz – sowie die jeweiligen Tutoren (die „Instructor“ genannt werden). E-Mails werden zügig beantwortet, manche auch grundsätzlich sofort per Anruf. Das ist schlichtweg sehr gut gelöst, vielleicht fast ein wenig zuviel.
Zudem möchte die Universität sicher stellen, dass wirklich alle Details des Online-Systems wie auch des akademischen Arbeitens allgemein klar sind: WebEx-Meetings (also Online-Seminare) und zwei Einführungskurse beschäftigen sich ausführlich mit den verwendeten Kursverwaltungssystemen oder Turnitin, aber auch mit Fragen des richtigen Zitierens, den Ansprechpartnern, dem Aufbau der Kurse und und. Angesichts der Tatsache, dass die Zielgruppe Master-Studenten sind, fast ein wenig übertrieben, und zumindest latent auch etwas aufdringlicher als die vielen Mails, welche die Open University diesbezüglich verschickte, weil etwa selbst die Einführungskurse echte Anwesenheit und Partizipation erfordern. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau und sollte für niemanden im steinigen Terrain höherer Bildung ein Problem darstellen, erst recht nicht im Vergleich zu so manch bürokratischer Unbill, die andere Institutionen präsentieren.
Was mich dagegen verblüfft hat: Dafür, dass eben wirklich alles online gemacht wird, sind die verwendeten Systeme überraschend altmodisch und umständlich zu bedienen. Wieder einmal: Nichts ist ein Drama und schon mildert ein Eingewöhnungseffekt das ab – aber dennoch muss ich mich etwa regelrecht zwingen, nicht das OpenU-Bibliothekssystem zu nutzen, weil das aus Liverpool vorher mehr Klicks erfordert und zwischendrin mehr neue Fenster öffnet. (Die Resultate sind übrigens identisch, weil beide auf dem gleichen System beruhen.) Auch die eingesetzten Foren auf Java-Basis haben einen verblüffenden oldschool-Touch, ich konnte bis jetzt auch nicht herausfinden, wie ich Threads per RSS abonniere – was angesichts der Relevanz der Posts (dazu gleich mehr) schon schade ist. Update August 2013: Nach etlichen Relaunches und Rebrushes sind die Foren ästhetisch wie auch technisch deutlich modernisiert worden, auch die Rich-Text-Eingabe, also formattierte Texte, funktioniert nun ohne Browser-Plugin. Und, eine potenzielle Falle: Die Eingangsbeiträge der jeweiligen Wochenforenthreads müssen zweimal abgeschickt werden – einmal im Forum, einmal per Turnitin.
Der Wochenplan: Nichts für Freunde wochentäglicher Fernsehabende
Aus den genommenen Aufgabenstellungen ergibt sich letztlich ein sehr strikter Wochenplan. Donnerstag und Freitag ist das zentrale Anliegen der Konsum der wöchentlichen Lektüre – das bewegt sich durchschnittlich im Umfang von 80 bis 100 Buchseiten, wobei sich naturgemäß einige Abkürzungen ergeben, zum Beispiel durch optionale Kapitel oder dadurch, dass man sich die Übungsaufgaben etwas aufschiebt.
Spätestens Samstag müssen dann im Regelfall zwei Forenbeiträge verfasst werden – die Tutorin veröffentlicht die Fragen am Dienstag, es ist je eine Antwort zwischen 300 und 500 Wörter (knapp die Hälfte dieses Beitrages) mitsamt ordentlicher akademischer Referenzierung (Harvard, wie auch bei der Open University) erwünscht.
Üblicherweise Sonntag bis Mittwoch bleibt das Forum Hort der eigenen Aktivität. Da das entsprechende Forum öffentlich ist, posten entsprechend auch alle anderen Studierenden. Und hier kommt eine der wesentlichen Komponenten der University of Liverpool zum Tragen, nämlich die aktive Beteiligung im Forum, die auch tatsächlich ein Drittel der Bewertung einnimmt. (Die anderen zwei Drittel teilen sich die beiden Anfangsbeiträge sowie das Assignment.)
Verpflichtend sind mindestens drei Antworten zu jedem Thema, besonders erwünscht sind natürlich Antworten auf die Posts der anderen Studenten, mitunter stellt auch die Tutorin Zwischenfragen. Hinzu kommen noch ein paar optionale Threads, welche die Tutorin eröffnet – gut, dass das Beitragsmaximum für die Woche bei 20 gesetzt wird.
Spätestens am Mittwoch wiederum müssen die eigentlichen Assignments abgegeben werden. Das sind, in bester OpenU-Naturwissenschaftsmanier, Kaskaden an Aufgaben abzuarbeiten, wobei die jeweils für sich etwas einfacher und weniger umfangreich sind als die TMAs bei der OpenU. Aber das ist ja auch verständlich, schließlich möchte die OpenU im Regelfall nur eine Handvoll davon, während die University of Liverpool Assignments im Wochenrhythmus einfordert.
(Ich habe mittlerweile meinen Rhythmus übrigens vorgezogen, um früher in die Forendiskussionen einsteigen zu können, weil es gerade in der jüngsten Zeit auch ein paar Mal geschah, dass alle ,einfachen‘ Fragen am Samstag schon in aller Epik diskutiert waren.)
Unmögliches wird einem nicht verlangt – aber die Auflistung macht deutlich, dass für exzessive Pausen und Prokrastination keine Gelegenheit bleibt, und der zeitliche wie intellektuelle Aufwand zieht auch im Verlauf merklich an. Gleichzeitig ist der enge Zeitplan aber auch ein guter Schutz davor: Weil immer innerhalb der nächsten vier Tage irgendeine Deadline ansteht, bleibt man zwangsläufig immer bei der Sache. Für eine nachhaltige Bewertung dieser Gewichtung und Systematik ist es schlichtweg noch zu früh, nach einem Monat in einem Kurs. Mein Ersteindruck sagt aber, dass die Quantität der Posts etwas zuviel Hektik erzeugt, auch wenn ich die Intention eines lebendigen und intensiven Austauschs zwischen den Studierenden nachvollziehen kann.
Betont werden sollte, dass der Rhythmus streng durchgezogen wird – die einzelnen Kurse kann man sich aussuchen, zwischen ihnen besteht eine knapp einwöchige Pause. Aber drinnen wird auf nichts Rücksicht genommen, auch nicht auf Weihnachten oder andere Feiertage – so dass ich sowohl Heiligabend als auch beim Familienessen Zeit im Online-System verbrachte. Und: Forenbeteiligung ist ausdrücklich von allen durch den Tutor möglichen Aufschüben ausgenommen.
Die Benotung erscheint mir teilweise etwas streng, teilweise gnädig – in jedem Fall ist sie weniger spezifisch als bei der Open University. Die Tutorin schickt am Samstag einen Absatz mit je einem Satz voller Adjektive über die Bestandteile (Diskussion, Forenbeteiligung, Hausaufgabe). Es gibt Musterlösungen, aber keine en-detail-Kritik wie bei den teilweise akribisch mit Kommentaren versehenen PDFs und Word-Dokumenten in Milton Keynes.
Nach sechs Wochen lässt sich also feststellen: Die Unterschiede zur OpenU sind durchaus deutlich – zwar ist man auch in Liverpool immer noch allein am Rechner, aber der Eindruck eines asketisch-eremitschen Selbststudiums tritt aufgrund der permanenten Foreninteraktion in den Hintergrund – wenngleich das eigentliche Pensum und besonders der Abgabendruck etwas höher liegt.
Und mit diesem Artikel wünscht dieses Blog alles Gute fürs kommende Jahr, in dem wir uns mit Neuigkeiten aus Liverpool und, Landtagswahlen in Sicht, aus Schleswig-Holstein melden.
Willkommen im Club! Eine Warnung vorweg: dieser dauernde Austausch macht auf Dauer süchtig, nach dem Studium fehlt einem was im täglichen Leben.
Einen guten Rutsch,
Ulrich
MSc in IT 2006
Puh, das hört sich für mich sehr stressig an und wäre eher nichts für mich. Ich habe nichts gegen vielleicht einen festen Termin pro Woche, aber da mein lieben viele Unsicherheiten mit sich bringt (mal sind die Kinder krank oder haben Ferien, dann muss ich im Kindergarten aushelfen, usw.), kann ich keine 100% sicheren Routinen in mein Leben einbauen. Schade, aber auch gut zu wissen, dass sich ein Versuch bei Liverpool damit für mich nicht lohnt (abgesehen davon, dass es mir zu teuer wäre).