Nachdem ich bislang eher die großen Neunmonatsbrocken des Fernstudiums an der Open University bearbeitet habe, sind nun, auch durch die Unbillen des Credit Transfer Centres und zur besseren zeitlichen Pufferung, ein paar (respektive: ein Paar) Zehnpunktehappen dran. Was unterscheidet die Kurse von den anderen?
- Sie sind als Short Course ausgelegt, worunter die Universität je nach Bedarf ungefähr ein Viertel- bis Dritteljahr versteht.
- Es gibt signifikant weniger Punkte – mit 10 nach OpenU-Standard-Umrechnung also fünf ECTS-Zähler, was vielen Seminaren an herkömmlichen Universitäten gleichkommt.
- Es gibt keine Abschlussprüfung, zumindest in allen Kursen, von denen ich gelesen habe. Die Leistung wird lediglich über wenige TMAs ermittelt.
- Zumindest mein Kurs ist nicht im eigentlichen Sinne benotet, sondern lediglich bestanden oder nicht (kein TMA unter 30%, Durchschnitt mindestens 40%).
- Bis auf wenige Ausreißer sind alle Kurse im Level-1-Bereich.
Durch dieses Setup sind die Kurztrips ideal, um sich mit vergleichsweise geringem Risiko nötige Zusatzpunkte zu holen. Nebenan hat Sonja mal über ihre Erfahrungen mit A177 – Shakespeare: An Introduction geschrieben; dabei kam schon durch, dass der Aufwand nicht so gering ist, wie man es angesichts des vergleichsweise überschaubaren Punktepreisgeldes erhoffen würde.
Das gleiche gilt auch für den numerischen Kursnachbarn A178 – Perspectives on Leonardo da Vinci. Ich habe den Kurs genommen, weil ich, wie so viele, im Laufe der Zeit ein gesundes, nicht völlig frei von Dan Brown und dem Microsoft-PLUS-Theme gebliebenes Bild von da Vinci hatte. Weil ich mich an eine Ausstellung mit vielen nachgebauten Maschinen ebenso erinnerte wie an den vitruvianischen Menschen, der jahrelang in meinem Zimmer hing. Weil ich eben mehr wissen wollte.
Diese Erwartungshaltung konnte der Kurs nur in Teilen erfüllen. A178 versucht, viel zu verknüpfen und viele Fragen zu beantworten, am Meisten die, ob Leonardo sich wirklich als Universalgenie bezeichnen lässt und inwieweit er ein Kind seiner Umstände und seiner Zeit war, sowohl materiell als auch intellektuell. In den Ausflügen hierzu erfuhr ich, dass da Vinci tatsächlich weit größeren Beschränkungen auferlegt war, als man es sich denken könnte, was etwa sein Zugang zu anatomischem Wissen anging oder seine mathematischen Fähigkeiten. Die politischen Ränkespiele, denen er mitunter ausgesetzt war, kommen ebenfalls gut zum Tragen. Und nicht zuletzt schafft es der Kurs, eine enorme Bandbreite abzudecken, von Anatomie über Geometrie und Architektur bis zu Bildhauerei, Malerei und Kriegskunst.
Gleich hier gehen aber die Schwierigkeiten mit dem Kurs los: Angesichts der insgesamt doch begrenzen Zeit können Vertiefungen nur sporadisch gesetzt werden – und meines Erachtens sind hier die falschen Prioritäten platziert worden. Zeitlich ausführlich beschäftigt man sich mit dem Malen von fluchtperspektivisch korrekten Gittern, noch ausführlicher mit der Pferdeskulptur und der Galatabrücke. Leonardos unzählige Maschinen hingegen werden bestenfalls am Rande gestreift; bei der Malerei sieht es etwas besser aus, die essenziellen Werke wie Mona Lisa oder Letztes Abendmahl sind allesamt Thema. Mir ist auch durchaus klar, warum gerade diese beiden Projekte zur Vertiefung gewählt wurden – es lassen sich daran viele Ansätze, die funktioniert oder eben nicht funktioniert haben, zeigen, und auch das Bild eines in seiner Zeit gefangenen Leonardos kommt gut herüber. Aber: Zu begeistern vermag das nicht.
Hier kommt auch besonders deutlich eine Schwäche des Kurses zum Tragen: Das Material. Im Paket war ein Din-A4-Studienführer als zentrales Element. Das solide, aber für OpenU-Verhältnisse vergleichsweise unspektakulär produzierte Buch (schwarzweiß, Satz erinnert eher an Microsoft Word) ist dabei durchaus akzeptabel; einzelne Kapitel stammen, ähnlich wie bei größeren Kursen die unterschiedlichen Bände, von verschiedenen Autoren und werden insgesamt einigermaßen zusammengehalten. Was ich aber nicht verstehe, ist die Wahl des, nun ja, Fachbuches – denn Leonardo da Vinci – Renaissance Man ist eher ein typisches Museumsmitbringsel. Ein paar Quellen sind im Anhang dabei, aber insgesamt ist das Heftchen verdammt klein und schlichtweg keine wissenschaftliche Lektüre. (Umso amüsanter war die vergleichsweise pedantische Anmerkung nicht abkürzenden Zitierens in den TMA, was sonst bei den Kursmaterialien kein Problem darstellt.)
Das zweite TMA habe ich bis jetzt noch nicht zurück. Allgemein habe ich aber nicht den Eindruck, dass die Essays nun wirklich um Welten einfacher sind als bei Level-2-Kursen. Beim ersten Aufsatz half, dass es in eher kleine Fragen untergliedert war (kenne ich aber auch aus anderen Kursen höheren Levels), und es wird auch immer angegeben, wo sich die Information ungefähr finden könnte. Die Abschlussfrage erforderte dennoch ein ordentliches Reflektieren und Verinnerlichen des Materials, wie ich das auch von den Finalaufsätzen anderer Kurse kenne.
Soweit ich nun also dazu befugt bin ein Fazit. Level 1, 10 Punkte, das klingt nach einem Pausensnack von Kurs. Umfang, Kursmaterial und Anspruch fallen auch niedriger aus als bei den anderen Kursen, jedoch nicht proportional. Wäre das hier ein Grafikkartentest, würde ich resümieren, dass andere Kurse ein besseren Punkt-zu-Leistungs- und Preis-zu-Punkt-Verhältnis haben. Aber: Letztlich sind die Entscheidungen über Kurse natürlich immer stark von den persönlichen Vorlieben abhängig. Der Kurs informiert gut über Leonardos Vielseitigkeit, seine Zwänge und Möglichkeiten; die kaum nachvollziehbare Schwerpunktsetzung zulasten einiger anderer Themen und das Kursmaterial allerdings lassen mich von einer klaren Empfehlung Abstand nehmen.