Kann die SPD die Bundestagswahl 2009 noch gewinnen?

Politik

Nachdem die letzten Beiträge eher dazu dienten, grundsätzliche Tendenzen der Institute aufzuspüren und ihre Genauigkeit in der Summe zu bewerten, verbodenständigen sich jetzt die Fragen.

Die SPD gilt als die Partei der Wahlkämpfe – 1998, 2002 und 2005 hat die Kampagnenführung für gute oder zumindest nicht gar so finstere Ergebnisse gesorgt.

Bis jetzt, sechs Wochen vor der Wahl, sieht man davor nichts, Stefan Niggemeier fordert sogar, dass man sich einfach darauf einigen sollte, schwarz-gelb gewinnen zu lassen, damit das Wahlkampfelend endet. Hat er recht? Statistisch gesehen: nicht. Praktisch: Ja.

Das Aufholpotenzial der SPD

Es sind jetzt noch knapp sechs Wochen bis zur Wahl. Wenn wir uns das jeweils schlechteste SPD-Resultat anschauen, dass zu diesem Zeitpunkt von einem Umfrageinstut prognistiziert wurde, ergibt sich das folgende Bild:

  • 1998 wurde die SPD 6 Wochen vor der Wahl von allen Instuten (leicht) überschätzt.
  • 2002 schätzte Allensbach (12. August) die SPD mit 33 Prozent um 5,5 Prozentpunkte schwächer, als sie im Endergebnis wurde.
  • 2005 bewertete die Forschungsgruppe Wahlen (5. August) die SPD um 6,2 Prozentpunkte zu niedrig (wohlgemerkt wie üblich in der angepassten Projektion, nicht in der politischen Stimmung). Am 3. August 2009 sah Forsa, einen Tag später Emnid die SPD sogar 8,2 Prozentpunkte unter der letztlichen Performance (am 10. August, der näher am derzeitigen Abstand zur Bundestagswahl liegt, war die Projektion bei beiden Instituten aber zwei Prozentpunkte besser).

Zum Zeitpunkt der Erstellung beträgt das beste Resultat, das die SPD einfährt, 24% (Emnid vom 12. August 2009), kann somit also, wenn sie den angenommenen Verschätz-Korridor völlig ausschöpft, noch die 30-Prozent-Hürde überspringen.

Das Überschätzungspotenzial der Union

Die vergangenen Analysen haben bereits gezeigt, dass die Demoskopen bei der Union im Durchschnitt häufiger die Außenringe der Unionsdartscheibe treffen. Die extremsten Werte, knapp sechs Wochen vor der jeweiligen Bundestagswahl, traten dabei natürlich 2005 auf.

Emnid und Infratest dimap notierten die CDU/CSU 6,8 Prozentpunkte zu stark (10. bzw. 11. August 2005). Am 3. August 2005 – 46 Tage vor der Wahl und damit weiter vom gegenwärtigen Abstand entfernt als die nächstveröffentlichte Umfrage – wurde eine Forsa-Umfrage veröffentlicht, welche das Endergebnis der Union um 9,8 Prozentpunkte überbewertete.

Das schwächste Unionsresultat in den gegenwärtigen Umfragen liefert Emnid, die Konservativen verzeichnen dort 35%, die meisten anderen Institute sind bei 36%. Das Milchmädchen rechnet vor: Die größtmögliche Überschätzung darauf angewendet, schon sieht Frau Merkel die 30-Prozentmarke von unten.

In dieser Aufstellung wird deutlich: Wenn die SPD vom derzeit besten Wert noch den größten Sprung nach vorne macht und es sich bei der Union genau umgekehrt verhält, wird der rote Balken größer als der schwarze. Aber ist das realistisch?

In dieser Aufstellung wird deutlich: Wenn die SPD vom derzeit besten Wert noch den größten Sprung nach vorne macht und es sich bei der Union genau umgekehrt verhält, wird der rote Balken größer als der schwarze. Aber ist das realistisch?

Es braucht also nur ein bisschen guten Willen, um bei einem derzeitigen Abstand zwischen 11 und 18 Prozenpunkten trotzdem die Möglichkeit für eine grandiose Aufholjagd, vielleicht sogar einen Patt zu sehen. Elf, zwölf Prozentpunkte ausgleichen? Aber logisch!

Die Probleme einer Aufholjagd

Dieser wunderschön zusammengeklaubten Zahlenakrobatik stehen allerdings einige kleinere und ein paar größere Probleme entgegen:

  • Auch wenn sich langfristig keine sich „im Lager“ ausgleichenden Fehleinschätzungen zeigen, war der Unionsüberwertung 2005 doch zeitgleich eine FDP-Unterbewertung. Zwar nicht genug, um eine Mitte-Rechts-Koalition zu ermöglichen, aber doch genug, um Rot-grün deutlich zu verhindern.
  • Bauchgefühl und gesunder Menschenverstand, ehedem nicht die besten wissenschaftlichen Tools, sagen mir, dass die Institute nach 2005 Maßnahmen getroffen haben, um die akute Unionsüberbewertung zu vermeiden. Ein Anhaltspunkt (und auch nur das, weil Europawahlen etwa über eine ganz andere Wahlbeteiligung verfügen) dafür wäre die recht genaue Einordnung zur Europawahl 2009, wo dafür die SPD effektiv schlechter abschnitt.
  • Schröder hatte 2002 und 2005 den richtigen Riecher. Kräftig anpacken bei der Elbflut, den Professor aus Heidelberg dämonisieren, das zog. Schröder kann Kanzler, noch besser kann er Kanzlerkandidat. Frank-Walter Steinmeier hat bisher eine gute Rede gehalten und einen mutigen Plan in die Welt gesetzt, dem es allerdings stark an Glaubwürdigkeit mangelt.
  • Die Fernsehduelle kamen der SPD entgegen. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie irgendjemand mit Vertrauen in seine kognitiven Fähigkeiten behaupten kann, Merkel habe 2005 doch überraschend gut abgeschnitten; vielmehr habe ich das Gefühl, die „Terminprobleme“ 2005 kamen mehr als gelegen. Jetzt ist das Problem: Frank-Walter Steinmeiers Telegenität hält sich in Grenzen – gegen die Kanzlerin mit ihren hohen Sympathiewerten wird er zwangsläufig auf größere Probleme stoßen als Schréder 2005.

Die Chancen der SPD

Um das zu bekommen, was die Amerikaner „Momentum“ nennen, muss Frank-Walter Steinmeier Kaninchen aus dem Hut zaubern, dass es nur so scheppert. Die CDU/CSU ist klug genug, im Wahlkampf die Handbremse gar nicht erst loszulassen, überhaupt nicht anzufangen mit Visionen oder gar „industriepolitischen Vorschlägen„. Die setzen einfach die Regentin in einen Zug und gut ist.

Trotzdem kann in den kommenden 40 Tagen noch einiges passieren.

Kyffhäuserstraße in Bad Frankenhausen. Nota bene: Die grüne Ampel, die optimistische Szenerie und das passende CDU-Plakat! (Und, ganz hinten, das Landwirtschaftsministerium, in dem meine Oma mal gewohnt hat.)

Kyffhäuserstraße in Bad Frankenhausen, Thüringen. Nota bene: Die grüne Ampel, die optimistische Szenerie und das dazu passende CDU-Plakat! (Und, ganz hinten, das Landwirtschaftsministerium, in dem meine Oma mal gewohnt hat.)

  • Ein mittleres Wunder bei den Landtagswahlen am 30. August zum Beispiel könnte Auftrieb geben. Was ist, wenn die Thüringen auf ihren Ski-fahrenden Althaus keine Lust mehr haben und die Saarländer völlig überraschend Heiko Maas ins Ministerpräsidentenamt hieven?
  • Das Fernsehduell habe ich schon genannt (auf die Auswirkungen 2002 und 2005 gehe ich in einem späteren Beitrag ein). Die Leute wollen Wahlkampf sehen, Steinmeier muss angreifen und parieren, selbst wenn es nicht um seine Haarfarbe geht. Auf jeden Fall muss die Performance Welten über dem liegen, was er bei RTL unter Ausschluss der öffentlichkeit zelebriert hat.
  • Höhere Gewalt. Das ist nichts, worauf Steinmeier setzen kann oder sollte, aber es lohnt ein In-Erinnerung-Rufen: Sowohl die Elbflut als auch der drohende Irak-Krieg waren 2002 nicht von Schröder erdacht, halfen ihm aber letztlich gewaltig. Für die Union gibt es etliche gefährliche Gebiete, von Asse bis zu möglichen Enthüllungen Schreibers.

Es braucht als SPD-Anhänger viel Optimismus, um an einen Aufholhattrick zu glauben, zumal die Union ihre Nager angeblich noch im Zylinder hat. Aber ausschließen kann man nichts, nicht einmal Fußballweisheiten in Demoskopie-Analyseartikeln:

Die SPD hat keine Chance. Also muss sie sie nutzen.

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