Bürgerschaftswahlen in Hamburg (2020): Die Lehren

Politik

Das Ergebnis aus dem Urnen in der Freien und Hansestadt ist da – im wesentlichen bestätigen sich alle Trends der vergangenen Monate weiter.

Beide Parteien der Großen Koaltion lassen Federn, die im Land regierende Partei jedoch deutlich weniger. Tatsächlich ist das Ergebnis der SPD, fast vierzig Prozent, selbst in Anbetracht der Verluste noch gemächlich – es bleibt mit Abstand ihre beste Leistung in einer Landtagswahl seit Jahren (genauer gesagt seit der letzten Hamburger Wahl) und liegt auch vor den besten Werten der Union in Sachsen respektive Bayern. Auch schön: ein wirklich langfristiger Trend bestätigte sich – eine hohe Wahlbeteiligung ohne große Protestvorzeichen kommt zumeist der SPD zugute.

Für die CDU kam zu einer schlechten Ausgangslage – beliebte Hamburger Regierung, GroKo-Malaise – noch aktueller Gegenwind in Form der an eskalierende heute-show-Sketche erinnernden Töne aus der Hauptstadtpartei.

Läuft bei den Grünen. Und langfristig ist das Ergebnis eher eins mit Luft nach oben, wie der Vergleich mit der Europawahl zeigt. Das mindert die Chance, in fünf Jahren nach unten zeigende Balken schönreden zu müssen.

FDP: Kein nachhaltiger Aufbau gelungen

Ich hatte die Schätzung abgegeben, dass die Auswirkungen auf FDP und AfD gering sein werden – und mich bei den Liberalen geirrt. Das ist für Christian Lindner kein gutes Zeichen.

Der komplette Beitrag zum Wahlergebnis auf der FDP-Seite – es bleibt bei einem zerknirschten Danke.

Nicht nur, weil Opposition Mist und 1-Personen-Opposition erst recht Mist sind, sondern weil es zeigt, dass der Wiederaufbau der FDP den grundsätzlichen Vertrauenssockel nicht weit genug nach oben geholt hat, um einer Krisensituation stand zu halten. Wäre das der Fall, sollte es zuwenigst in Hamburg möglich sein, eine Skatrunde ins Parlament zu schicken.

Vierkommaneunsechs sind keine Das-tut-ja-schon-beim-Zusehen-weh-Werte wie zu Gerhardt-Zeiten, aber nicht genug, um langfristig stabile politische Kraft zu bleiben. Hier müssen die Liberalen Vertrauen und Glaubwürdigkeit nachhaltig aufbauen – und ich bin überrascht, dass das nach dem von Lindner vor Jahren eingeleiteten Wiederaufbau der Partei dann noch nicht so geschehen ist. Alternativ ist es ein gutes Zeichen, dass auch indirekte Kooperation mit der AfD landesgrenzendübergreifend von einem Fünftel der ehemaligen Sympathisanten nicht goutiert wird.

AfD: Im Westen nichts Neues

Während die Rechtspopulisten im letzten Jahr in den Neuen Bundesländern reihenweise zweitstärkste Kraft wurden, ging es in Hamburg formal sogar ein kleines Stück nach unten.

Das deutet einerseits darauf hin, dass in strukturstarken Gegenden der Alten Bundesländer ohne wirklich günstigen Aufhänger wie eben etwa die Flüchtlingssituation keine signifikanten Zuwächse möglich sind.

Es zeigt aber auch andererseits, dass selbst in wirtschaftlich guter Situation mit aktuellen Ereignissen, die sich gänzlich gegen die Partei entwickeln wie die Anschläge in Hanau ein Sockel an Zustimmung vorhanden ist. Der prozentuale Verlust – 0,8 Prozentpunkte – kommt in erster Linie durch die gestiegene Wahlbeteiligung zustande. Auf den Landeslistenstimen ist das Ergebnis praktisch gleich: 214.833 Stimmen im Jahr 2015, 214.596 am letzten Sonntag – ein Verlust von etwas über 0,1 Prozent. Bei angenommenen fünf Kreuzen pro Urnengang hat die AfD netto nicht einmal die Zustimmung von fünfzig Leuten verloren! Und: Für ein Ergebnis wie bei Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt, wo die hohe Wahlbeteiligung, auch zugunsten „sonstiger“ Parteien, die NPD am Einzug hinderte, fehlten über 237.000 Stimmen für andere Parteien, also fast fünfzigtausend mehr Menschen hinter der Wahlkabine.

Ausblick: Ein Jahr für Ausbesserungsarbeiten

Im nächsten Jahr stehen sieben1 Landtagswahlen an, zudem die erste Bundestagswahl für die Union ohne Angela Merkel. Die lange Pause bis können die Parteien nutzen.

Insbesondere die Union steht vor einem Scherbenhaufen, doch auch die SPD kann Hamburg schwerlich als ernsthaften bundespolitischen Auftrieb verkaufen, schließlich war der Wahlkampf explizit ohne die Bundesspitze. Die Grünen tun gut daran, Experimente zu vermeiden, die FDP erkennt, dass Christian Lindner kein Wunderheiler ist – und die AfD muss sich um den Wiedereinzug in den Bundestag wohl keine Sorgen machen, wird ohne großen Aufwind aber auch kein Störfeuer entfachen können, wie es in den Neuen Bundesländern gelang.

Offenlegung: Ich war von c. 2002 bis 2009 Mitglied der FDP und bin seit 2009 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.

  1. So in Thüringen nicht doch anders entschieden wird.

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