Landtagswahlen in Baden-Württemberg 2016 (1): Ausgangslage und Umfragen

Politik

Vor fünf Jahren arbeitete ich noch in Hamburg, was mit gut 550 Kilometern Bahnfahrt am Tag einherging – und der Angewohnheit, nach dem Aussteigen aus dem ICE 1616 in Hamburg erstmal auf Twitter zu prüfen, was ich während der Zugfahrt verpasst hatte. An keine Tag wagnerte (für die jüngere Zielgruppe: emmerichte) mein Feed dabei so wie am 11. März 2011. Analog: die Rückfahrt am 30. September 2010.

Der erste Grüne Ministerpräsident der Bundesrepublik sprang nicht überraschend aus der Zauberkugel; Bürgermeisterschaften und Beinahe-Direktmandate im Südwesten hatten eine allmähliche Zeitenwende angekündigt. Die Proteste gegen Stuttgart 21 mit der bizarren Überreaktion der Mappus-Regierung verdeutlichten dies (und trugen auch zu einer allgemeinen Diskussion über Polizeigewalt und Wasserwerfereinsatz bei). Die Katastrophe im Fukushima-Reaktor schließlich führte nicht nur zu einer 180-Grad-Wende der Bundesregierung, sondern stärkte in der Zielwoche die „Wir haben es ja schon immer gesagt“-Position der Grünen.

Umso spannender nun also die Wahl, bei der Rot-Grün das Amt verteidigen möchte. Winfried Kretschmann als Ministerpräsident hat im Bundesrat gerade bei der Asylpolitik auch gegen klassische grüne Positionen Entscheidungen mitgetragen und so erst die nötige Mehrheit in der Länderkammer gegeben. Statt Diskussionen um Beteiligung bei Infrastrukturprojekte und Kernkraft prägt die Wertekrise sowie der Umgang der mit der Alternative für Deutschland den größten Teil der öffentlichen Debatte.

Die Ausgangslage

Lange galt im Stuttgarter Landtag eine klare Reihenfolge: Erst die Union, dann lange nichts (in jeder Wahl seit 1988 waren mindestens zehn Prozentpunkte Abstand zur SPD), dann wieder lange nichts, dann Grüne und FDP im Wetteifern um Platz drei. Zwischendurch gelang den Republikanern zweimal der Einzug in den Landtag, den Linken hingegen noch nie.

Bereits 2011 rüttelte an diesem Fundament: die Grünen wurden (wie später in Bremen) zweitstärkste Kraft, die FDP hielt es im Gegensatz zu vielen anderen Wahlen dieser Zeit knapp im Parlament.

Umfragen und Szenarien

Wie ich im Beitrag zu Sachsen-Anhalt aufgeführt hatte, holte die AfD in den meisten Landtagswahlen seit 2013 Resultate über ihren Umfrageergebnissen. Die Baden-Württemberg-spezifischen Umfrageabweichungen über mehrere Wahlen hinaus lassen keine genauen Schlussfolgerungen zu – mal wird die CDU leicht über-, mal unterbewertet, analog für weitere Parteien.

In meiner Analyse zu den Umfragen 2011 erkannte ich eine Tendenz, Entwicklungen und Wählerwanderungen in den Projektionen unterzubewerten. Das würde heißen, das starke Bewegungen – aufwärts bei Grünen und AfD, südlich bei CDU und SPD – womöglich noch stärker auftreten werden als derzeit absehbar.

Neben der Reihenfolge in den Parteien ebenfalls entscheidend wird die Frage möglicher Koalitionen. 2011 wurde spekuliert, dass die Linken Zwei-Parteien-Bündnisse erschweren würden, diesmal kommt diese Rolle der AfD hinzu:

  • je nach Umfrage kommt Grün-Rot auf 45 bis 48 Prozent der Stimmen, die hypothetische Opposition (CDU, FDP, AfD) auf 46 bis 49 Prozent. Fürs Protokoll: In Baden-Württemberg (!) könnte Schwarz-Gelb also rund zehn Punkte hinter Grün-Rot (!) liegen.
  • eine klassische Große Koalition aus CDU und SPD hätte in den meisten Szenarien noch weniger Aussichten auf eine parlamentarische Mehrheit

Unter der Annahme, dass Koalitionen oder Tolerierungen mit der AfD nicht passieren, bleiben also die Möglichkeiten einer grün-schwarzen Regierung oder einer Ampel. Sollten die Umfragen also nicht völlig daneben sein und zum Beispiel die Union noch einmal deutlicher schwächer erscheinen (ohne jedoch an die AfD zu verlieren), ist es Zeit für die strategischen Popcorn-Reserven.

Offenlegung: Ich war von 2002 bis 2009 Mitglied der FDP. Ich bin seit 2009 Mitglied von Bündnis 90/die Grünen.

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