Überhangmandate und die Bundestagswahl 2009 (1)

Politik

In den Blättern rauscht es derzeit intensivst: Schwarz-gelb könnte, geschuldet den Überhangmandaten, selbst bei fehlender Zweitstimmenmehrheit noch über die Majorität der Abgeordneten verfügen. Skandal, schreien die Einen, Wahlrecht halt, erwidert die Gegenseite. Das Bundesverfassungsgericht (und auch die Experten von Wahlrecht.de, ebenfalls fein: Beitrag in der Frankfurter Rundschau) haben das gegenwärtige Wahlrecht kritisiert (ersteres mit entsprechender verfassungsgegebener Kraft). Tatsächlich ist das kombinierte Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, was wir in Deutschland haben, weder besonders einfach noch paradoxienfrei.

Überhangmandate: Die Erklärung

Alle Kandidaten, die einen Wahlkreis direkt gewinnen (Erststimme), ziehen in den Bundestag ein, unabhängig von den Zweitstimmen. Wenn in einem Bundesland mehr Kandidaten via Erststimme ins Parlamant gelangen, als es mit der Zweitstimme der Fall gewesen wäre, bezeichnet man die Differenz als Überhangmandate. (Ich finde die gängigen: „Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate hat, als ihr via Zweitstimmenanteil zustünden…“-Erklärungen ein wenig umständlich.)

Ein praktisches Beispiel: Die SPD gewann in Hamburg 2005 alle sechs Wahlkreise direkt. Gemäß Zweitstimmenergebnis (38,7%) standen ihr fünf Hamburger Bundestagsabgeordnete zu. Der/die sechste im Bunde hat also das Etikett „Überhangmandat“.

Überhangmandate: Die Probleme

Da außerhalb Berlins ausschließlich SPD und Union Wahlkreise direkt gewinnen, entsteht zumindest teilweise eine für Mehrheitswahlrecht typische Verzerrung zugunsten großer Parteien. Zudem ergeben sich – das ist der speziellen Kombination aus Erst- und Zweitstimme geschuldet – einige nun wirklich bizarre Paradoxien. So kann eine Partei mit mehr (Zweit-)Stimmen Parlamentarier verlieren oder mit weniger (Zweit-)Stimmen Sitze gewinnen.

Die Situation 2009: Überhangmandate fast nur für die Union

In gewisser Weise ist die Situation ebenfalls paradox. Wird sonst die relative Unwichtigkeit der Erststimme angeprangert, die „nur“ darüber entscheidet, ob ein Listen- oder Direktkandidat derselben Partei das Mandat erhält, gilt die Bedeutung der Kreuze links auf dem Wahlzettel 2009 als Legitimationsproblem.

Denn: Die Union wird aller Voraussicht nach schwach abschneiden, bestenfalls im Dunstkreis des 2005er-Ergebnisses. Gleichzeitig musst die SPD aber sogar hoffen, dass es für das Ollenhauer-Resultat reicht.

Heißt: In Bundesländern mit hoher CDU-(Erststimmen-)Dominanz (Sachsen und Baden-Württemberg) ist es wieder wahrscheinlich, dass die Union alle Wahlkreise gewinnt, gleichzeitig wird ihr Zweitstimmenanteil (in Baden-Württemberg ca. 4 Prozentpunkte über dem Bundesergebnis, in Sachsen ungefähr fünf darunter) sich nicht wesentlich nach oben bewegen.

Dementsprechend kommen wohl 16 CDU-Abgeordnete aus Sachsen und 38 aus Baden-Württemberg, selbst wenn die CDU dafür nicht die notwendigen Zweitstimmenanteile von theoretisch deutlich über 40% (Sachsen) respektive 50% (Baden-Württemberg) erreicht. 2005 hat die Union dort zusammen sieben Überhangmandate geholt, diesmal könnten es nach manchen Berechnungen zwanzig sein – und damit die Mehrheit doch noch kippen. Respektive klappen, wie man’s nimmt.

Hinweise zu den obigen Berechnungen: Zahl der Wahlkreise ist den Informationen des Bundeswahlleiters entnommen. Die Schätzungen für die notwendigen Zweitstimmen basieren auf der Gesamtzahl der Sitze, die das Bundesland ohne Überhangmandate 2005 vergeben hat, im Verhältnis zur Anzahl der Wahlkreise (also 16 Erststimmen-Abgeordnete bei 32 sächsischen ZweitstimmenAbgeordneten 2005 für Sachsen und 38 direkt gewählte Abgeordnete von 73 baden-württembergischen Mandaten insgesamt 2005).

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert