Deutschland – eine Fernsehdemokratie? Der Einfluss von TV-Duellen (1)

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n den USA gab es sie erstmals 1960 zwischen Kennedy und Nixon: Duelle zwischen den zwei chancenreichen Präsidentschaftskandidaten. Die erste der vier Debatten dieses Jahres gilt als Paradebeispiel für den Triumph des äußeren über die politische Sache, als Anfang des durch und durch in Fernsehbilder getränkten Wahlkampfes.

Doch das Recherche-Warndreieck blinkt selbst bei oberflächlicher Analyse schnell: Es waren besonders die Zeitungen, welche sich über Nixons Aussehen mockierten. So wie übrigens auch 1976 – erst dann fand das nächste Duell statt -, als Gerald Fords Aussage, die Sowjetunion sei in Osteuropa ohne Einfluss, in den anderen (lies: gedruckten) Medien mehrfach wiedergekäut wurde.

In diesem Jahr – 1976 – began auch das Rundherumsofortanalysieren mit Zustimmungs- und Ablehnungsgraphen, die von den Demoskopie-Seismologen zum Zucken gebracht werden.

Analyse: Methodisches Vorgehen

Warum diese lange Einleitung? Weil die Vermutung nahe liegt, dass nicht nur das Fernsehduell selbst, sondern auch die anschließende Berichterstattung darüber entscheidend für die Resonanz in der Bevöllkerung ist. Keine These, die ein sonderlich emanzipiertes Kommunikationsmodell beschreibt, aber durchaus wahrscheinlich.

Diese Analyse widmet sich daher der Frage, inwieweit die Fernsehduelle 2002 und 2005 die (gemessene) Stimmung beeinflusst haben, und zwar sowohl kurzfristig als auch über einen längeren Zeitraum hinweg, als die Nachberichterstattung oder sogar gewonnenes „Momentum“ Wirkung zeigten. 1998 hatte Schröder den Amtsinhaber Kohl vergeblich zu einem Duell herausgefordert.

2002: Wenig Spaß für Edmund Stoiber

Edmund Stoiber und Gerhard Schröder trafen zweimal aufeinander, am 25. August und am 8. September 2002, das sind respektive Tage vor der Wahl. Für diesen ersten Analysebeitrag werde ich die Mittelwerte aller Institute (außer GMS) für Union und SPD an den relevanten Tagen aufzeigen – hierbei entstehen, da die Institute natürlich nicht immer am selben Tag veröffentlichen, Ungenauigkeiten bei der Zuordnung. Ich habe daher folgende Annahmen getroffen:

  • die Veröffentlichung einer Umfrage ist grundsätzlich wenigstens zwei volle Tage nach dem Befragungszeitraum
  • dementsprechend sind die ersten richtigen Nachduellumfragen frühestens am 28. August bzw. 11. September erschienen, selbst in diesen ist aber noch ein erheblicher Anteil des Befragungszeitraums vor der Sendung
  • das angebene Datum ist jeweils ein Mittelwert aller Umfragen, die in unmittelbarer Nähe Ergebnisse veröffentlichten; weil das nicht immer alle sind, kommt es aufgrund der institutsbezogenen Ungenauigkeiten zu einigen Ausschlägen

Grafisch entsprechend aufbereitet (hier kommt wieder OpenOffice mit seiner besonderen Ästhetik ins Spiel) ergibt sich das folgende Bild:

Verlauf der gemittelten Zustimmung (bitte Bemerkungen oben beachten) für Union und SPD nach den Kanzlerduellen.

Verlauf der gemittelten Zustimmung (bitte Bemerkungen oben beachten) für Union und SPD nach den Kanzlerduellen.

Ich habe auf einen weiteren Transparenz-Gradienten verzichtet, bitte aber zu beachten, dass der eigentliche Impact eines Duells vollständig erst eine Woche nachher gemessen werden kann. Die jeweils ersten Punkte nach den Trennern auf den Diagrammen sind daher entweder nicht oder nur teilweise auf Basis Duellzuschauern und -darüberlesern. Und obwohl ich besonders beim dritten Punkt hinzufügen muss, dass hier eine suboptimal dünne Instituts-Kombination vorliegt, ist der Trend eindeutig: Nach jedem Duell zeigte sich spätestens binnen Zwei-Wochen-Frist ein deutlicher Zuwachs für die SPD und umgekehrt ein Unions-Sinkflug in den Stimmungsbarometern, zum Schluss gar ein Vorsprung für die SPD (der letztlich knapper werden sollte).

Das heißt nicht, dass die Sendungen die alleinige Ursache waren, andere Themen dominierten den Wahlkampf weiterhin. Aber es deutet stark darauf hin, dass Schröder eben gut vor sich hinmomentumen konnte.

2005: „Viel Spaß mit Edmund Stoiber“

Das rief Gerhard Schröder Angela Merkel ins Wort, als sie von ihrer Souveränität gegenüber den Unions-Landesfürsten sprach. Wie Recht Schröder damit behalten sollte, zeigte die Geschichte. Aus eben dieser wollten vielleicht die Demoskopen lernen und ließen dementsprechend in ihre Berechnungen einbeziehen, der der Union eher zu gute kamen. Denn trotz der eindeutigen Ergebnisse bei Zuschauerbefragungen zeigte sich bei den Sonntagsfragen weitaus weniger Bewegung (gleiche Bedingungen wie bei der 2002-Analyse):

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Verlauf der gemittelten Zustimmung (bitte Bemerkungen oben beachten) für Union und SPD nach dem Kanzlerduell.

Warum das so ist – und damit generell, woher der Demoskopen-Totalausfall 2005 kommt, darüber lässt sich trefflich streiten. Vielleicht haben ja gerade die Last-Minute-Entscheider sich besonders auf das Duell gestürzt, und alle anderen waren davon gar nicht betroffen, mithin auch bei den Umfragen konstant.

2009: Das wird kein Spaß

Man kann davon ausgehen, dass eine gute Performance beim Fernsehduell, um es vorsichtig zu formulieren, die SPD eher stärkt und die Union eher schwächt. Dabei spielt die öffentliche Wahrnehmung der Duelle und ihre Reflexion in den Medien eine ebenfalls bedeutsame Rolle, auch in den Tagen danach. Aber so einfach kann Steinmeier das Schröder’sche Erfolgsrezept nicht kopieren.

Denn Schröder hatte bei beiden Duell-Wahlkämpfen einen Vorteil: Er als Amtsinhaber musste angegriffen werden. Und Angriff, Bissigkeit, davor warnen die Berater. Kommt ganz schlecht für die Sympathiewerte. Jetzt ist Angela Merkel in dieser Situation, doch für Steinmeier ist die Lage noch komplexer:

  • Angreifen macht potenziell wenig beliebt, flüstern die Berater. Zumal Angela Merkel eine Frau ist und so immens populär.
  • Angreifen ist ganz schwierig schlüssig zu machen, wenn man selbst Vizekanzler ist. Also, zusammen mit der Frau, vor der man den Wähler warnen möchte.
  • Angreifen ist auch dann schwierig, wenn kein Thema öffentlich zündet. Die CDU setzt in ihrer politischen Kommunikation nicht auf irgendwelche Visionen oder revolutionäre Ideen, sondern auf Wir sind die Geilsten Wir haben die Kraft. Was will Steinmeier da attackieren? Die Arbeit der Familienministerin, des Innenministers? Denkbar, aber nicht eben zündend. Bleiben also theoretische Unionskonzepte – die wiederum kennt kaum einer, sie bieten mithin kaum eine gute argumentative Resonanzfläche.
  • Aber: Steinmeier muss angreifen, um sein Profil zu schärfen. Um den Leuten klar zu machen, wofür er steht.

Wie schon im gestrigen Beitrag heißt das nicht, dass die SPD keine Chance hat. Sondern, dass Steinmeier Kaninchen braucht. Viele.

In einem der kommenden Beiträge werde ich der Frage nachgehen, ob Fernsehduelle insgesamt in der Bedeutung abnehmen. Vorweggegriffen: Für 2009 in Deutschland, kaum.

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